Remaraweng Boarisch

Aussprache - Abriss der bairischen Grammatik

Teil I - Lautlehre

   von Prof. Ludwig Zehetner

 

  

 ~  Konsonanten ~

 

§ 14

 

 

14.1  Verschlusslaute (Plosive)

 

Hoch-

sprache 

Bairisch

Nr.

Erläuterungen

Beispiele

Bairisch

hochsprachliche

Entsprechungen

b

„b, bb“

 

p

„p, pp“

 

 

im An­laut

b 

 

 38

  

Der Unterschied zwischen b und p ist im Anlaut neutralisiert, d.h. es tritt für beide gleichermaßen der stimmlose und unbehauchte „Halb­fortis“-Konsonant (s. dazu § 5) ein; dies gilt auch für Ver­bindungen wie  bl/pl, br/pr, sp, spl, spr.

bintn

blòsn

brenă

Bleschl

bàssn

backă

Bädă

dăblèckă

Blòòz

Breiss

Šbiiz

Brooz

šbreechă 

binden

blasen

brennen

(Zunge)

passen

packen

Peter

(verspotten)

Platz

Preuß(e)

Spitz (*Spitze)

(Kröte)

(Sprüche machen)  

in Lenis-Silben (Typ I

in § 5): 

Abhängig vom „Silbenschnitt“ (s. dazu § 6) tritt Schwächung (beim Silben­typ I) oder Schärfung (beim Silben­typ II) ein. 

 

 

 (siehe § 6

 

 

im Auslaut

 

b

 

 

 

 

 

 

Gròb

Gòb

grob

gràb

Grab

Gabe

grob

(grau)

im

Inlaut

 

w

 

 

 

 

 

 

(m)

 

  

39

Liegt Silbentyp I (langer Vokal) vor, werden b und p zum Reibelaut w (Spirantisierung im Rahmen der Konsonanten­schwächung).

 

Lewă

Howĕ

Schnòwĕ

ă gèiwă

lewĕ

Làwă

schäwăn

grawĕn

gràwĕn 

Leber

Hobel

Schnabel

ein gelber

lebe ich

Laub (Plural)

scheppern

krabbeln

(schimmeln)

 40

Folgt ein n, tritt Lautangleichung ein, das b ist nicht mehr zu hören:

bn > m (Totalassimilation; siehe

auch § 13.3). Bair. šbeim, schneim liegt  speiben, schneiben zugrunde

(mhd. spîwen, snîen).

gem

glàm

drom

fà(r)m

šteam

gšbiim

geben

glauben

droben

färben

sterben

*gespien

in Fortis-Silben (Typ II in § 6):

im In- und Aus­laut

p

41

Liegt Silbentyp II  (kurzer Vokal) vor, wird der un­behauchte Stark­laut p (= bb) gesprochen.

  

 

 

Ein folgendes n wird assimiliert:

-pn > -pm.

rumpĕn

bumpăn

Kàmpĕ

Grippĕ

Bàpp, Bàppa

Dèpp

Glump

Opst

Suppm

Lampm

Štempm

koppm 

rumpeln

pumpern (klopfen)

(Kamm)

Krüppel

*Papa

Depp

(Unrat)

Obst

Suppe

Lampe

(Pfahl, Pfosten)

(rülpsen)

d

„d, dd“

 

t

„t, th, tt“

 

im Anlaut

d 

 42 

Die Konsonanten d und t werden im Anlaut und in den Verbindungen st, str gleichermaßen als stimmlose und unbehauchte „Halbfortes“ (s. dazu § 5) gesprochen.  

Dorf, Doaf

Dorf, Doaf

Deifĕ

dròng

drent

deia, deirig

Dintn

Dàss

dreim

Drummĕ

Strizzi, Šdriizĕ 

Dorf

Torf

Teufel

tragen

(drüben)

teuer

Tinte

Tasse

treiben

Trommel

(Gauner) 

in Lenis-Silben (Typ I

in § 6)

im In- und Aus­laut 

Abhängig vom „Silbenschnitt“ (s. dazu § 6) tritt Schwächung (beim Silben­typ I) oder Schärfung (beim Silben­typ II) ein.

Liegt Silbentyp I (langer Vokal) vor, erscheinen d und t gleicher­maßen als d (Konsonanten­schwächung). 

 

heid

Leid

gscheid

miid

rod, roud

ă rodă, roudă

Hòdăn

weidă

Wedă

heute

Leute

gescheit

mit

rot

ein roter

Hadern (Lappen)

weiter

Wetter, (Gewitter)

(n)

 

 

(l) 

43

Folgt ein n, tritt meist Laut­angle­ichung ein, das d oder t ist nicht mehr zu hören: dn, tn > n (Total­assimilation), ländlich teil­weise fină, gfună „finden, ge­fun­den“. – Auch an ein folgendes l kann angeglichen werden: dl, tl > l, ll.  

reen

schnein

gschniin

schòòn, Schòòn

Schliin

bèlln

Bellmô

Gnell

Òòl

reden

schneiden

geschnitten

schaden, Schatten

Schlitten

betteln

Bettelmann

Knödel

(Jauche)

in Fortis-Silben (Typ II

in § 6)

im In- und Aus­laut

t 

44

Liegt Silbentyp II  (kurzer Vokal) vor, wird der un­behauchte Stark­laut t (= dd) gesprochen.

 

Loattă

loatn

Bitt

bittn

bàttn

Hittn

unt, untn

bintn

Hent

Hunt

mèitn

Leiter

(lenken)

Bitte

bitten

beten

Hütte

unten

binden

Hände (auch Hand)

Hunde (Plural)

melden   

 

 

  

 

Hoch-

sprache

Bairisch

Nr.

Erläuterungen

Beispiele

Bairisch

hochsprachliche

Entsprechungen

 

kl

gl, gel

kr

gr, ger

kn, gen

gef

gem

kw „qu“

gew

ks „x“

ges

usw.

  

im An­laut

 

gl

gr

gn

gm

gw

gs

gf

 

  

45

 

Der Unterschied zwischen g und k ist im gedeckten Anlaut, also bei

g + Konsonant und k + Konsonant, neutrali­siert, d.h. es tritt für beide gleichermaßen der stimmlose und unbehauchte „Halb­fortis“-Konso­nant (s. dazu § 5) ein; vor Vokal gilt diese Regel nicht.

Hochsprachlich geh- wird zu gh- und klingt damit genau so wie k in der Normaussprache.

Zu qu = gw siehe unten bei Nr. 61.

glei

Gleidl

glôâ

graislĕ

Greiz

gricht

Gricht

gnau, gnâû

Gnia

gnàrzn

Gmias

gwiis

Gwèin

Gsicht

Gsod

Xarĕ

gfuntn 

gleich

Kleid (Dim.)

klein

gräuslich

Kreuz

gerichtet

Gericht

genau

Knie

(knarren)

Gemüse

gewiss

Quelle

Gesicht

(Häcksel)

Xaver

gefunden 

k,

geh-

 

 

 

 

 

 

ch

gh = kh

46

Vor Vokal wird zwischen an­lautendem g und k unterschieden; letzteres tritt als behauchter Stark­laut (aspirierter Fortis-Plosiv).

Phonetisch gleich ist das Ergebnis

aus geh- nach Ausfall des unbe­tonten -e-. 

Kind

Kirch, Kiachă

kàm

kemma

er kimmt

Kuchl, Kich

Kooch

ghoassn 

Kind

Kirche

kaum; (er) käme

kommen

er kommt

Küche

Koch; (Mus)

geheißen 

In Süddeutschland und in der Schweiz wird anlautendes ch in bestimmten Wörtern wie k

gesprochen – nicht als ch.

Kemie

Kina

Kinees

kinesisch

Keam-/Kiimsee

Kam

Chemie

China

Chinese

chinesisch

Chiemsee

Cham (Stadt)

ck 

ck = gg

 

47

Im Silbeninneren erscheint k, ck als

unbehauchte Halbfortes (s. § 5). Der Unterschied zur Hochsprache besteht in der fehlenden Behau­chung: nicht Zuckher, zurückh , son­dern Zuckă, zruckh  = Zuggă, zrugg.

 

  

 

Dies gilt auch für die Lautverbin­dung nk in Fortissilben (s. dazu § 6).

Zuckă

druckă

Gockl, Gickăl

Buckl

Štickl

Hàckl, Hàckĕ

Hàckăl

Bàckăl, Bàckl

Zucker

(*drücken)

(Hahn)

Buckel (Rücken)

Stücklein

Hacke (Dim., Axt)

(*Häkchen)

(*Päckchen)

 

 

 

 

nk

 

 

 

 

 

 

ng

-gen

nk = ngg 

links

Rankn

Glenk

blank 

links

(Geländestufe)

Gelenk

blank

 

ng

 

 

48

In Lenissilben unterliegt nk der Kon­sonantenschwächung; es resultiert der Laut ng, für welchen es keinen eigenen Buchstaben gibt. Basisdialektal fallen „gesunken“ und „gesungen“ in der Lautform gsunga zusammen.

dengă

wingă

gwungă

gsungă

dringă

drungă

Bàngĕ, Bàng-gl 

denken

winken

gewunken (*-winkt)

gesunken

trinken

getrunken

Bank (Dim.)

Im Konsonanten ng fallen hoch­sprachlich ng und -gen zusammen.

Zu beachten ist, dass auslautendes  ng niemals als ngk gesprochen wird („Wohnung, Ding“ – nicht aber „Wohnungk, Dingk“).

 

 

lengă

singă

glanga

Schwung 

länger

singen

(*reichen)

Schwung

Reeng

Boong

fliang

ziang 

Regen

Bogen

fliegen

(ziehen) 

 

  

 

Angel

(Stengel)

Engel

Bengel (Prügel)

Folgt einem ng ein l, so kann, mehr oder weniger deutlich, ein -g- als Sprosskonsonant auf treten:

 ng + g + l > ng٠gl (vgl. -nl  > -ndl, § 13.4.3) 

 

 

 

Ang٠gl

Šding٠gl

Eng٠gl

Beng٠gl

 

 

 

14.2  Reibelaute (Frikative, Spiranten)

 

 

Hoch-

sprache

Bairisch

Nr.

Erläuterungen

Beispiele

Bairisch

hochsprachliche

Entsprechungen

 

s

ss

ß

  

 

s

ss

  

 49

Im Silbenanlaut sind die s-Laute nicht nur  in den Dialekten, sondern auch in der regionalen Hoch­sprache grund­sätzlich stimmlos – im Gegensatz zur hochsprach­lichen (norddeut­schen) Norm: „singen,  sagen, Son­ne, lesen, Amsel“ = ßingen, ßagen, ßonne, leeßen, Pinßl – im Dialekt: ßinga, ßòòng,  ßonn/­ßunn(a), leeßn, Bemsl. (Das Zei­chen ß wird  hier gesetzt, um den Unterschied zur Bühnenaus­sprache zu verdeutlichen.) Gespannte oder unge­spannte Arti­ku­lation hängt vom Silbenschnitt ab (s. dazu § 6). –

Eine Besonderheit ist der in fast ganz Altbayern übliche Ersatz von s durch h in mia hàn/hànd, ees heits/ hàts, sie mia hànd/hàn „wir sind, ihr seid, sie sind“. Auf diese Weise ent­steht das Minimalpaar mia håmmă – mia hàmmă „wir haben – wir sind“. 

 

 

sèng

i siich, sèg, … Siach

Fuas (Fous)

Fiass (Fäiss)

Roos

Ressă

miassn (mäissn)

i muas

weissn

weisn

wissn

Wiis, Wiisn

reissn

reisn/roasn

blòòsn

blass

Gschloos

Gschlessl

Guus-eisn

 

 

sehen

ich sehe

(Tölpel)

Fuß

Füße

Ross

Rösser

müssen

ich muss

(*tünchen)

weisen (führen)

wissen

Wiese

reißen

reisen

blasen

blass

Schloss

(*Schlösschen)

Gusseisen

 

z

tz

 

z

(= ds)

zz

(= ts)

 

50

Die Affrikata z = ts kann ge­spannt oder ungespannt auftreten: als  tz = ts = zz (Fortis) bzw. z = ds (Lenis).

Sie kommt auch durch Assimilation der Artikelform die > d zustande. – Siehe dazu auch in § 15.

 

blitzn

Bliiz

rotzn

Rooz

Greizzl

Greiz

Fotzn

Fooz

zààch

Zàmperl

dSockă

dSau

dSèi

blitzen

Blitz

rotzen

Rotz

Kreuz (Dim.)

Kreuz

(Ohrfeige; Mund)

(Mund)

zäh

(kleiner Hund)

die Socken

die Sau

die Seele

sch

 

rs, rst

sp, sb 

sch 

51

Bei Verbindung mit anderen Kon­sonanten neigt das südliche Deutsch dazu, statt s den Laut sch = š zu sprechen – in Fortführung einer Entwicklung, die sich  in der Hoch­sprache nur  bei anlautendem sp (= šp), st (= št), schl, schm, schn, schr, schw durchgesetzt hat (mhd. spiln, stein, slange, smit, snîden, swimmen > špielen, Štein, Schlange, Schmied, schneiden, schwimmen), im Ober­deutschen jedoch viel weiter reicht: Im Schwäbischen heißt es fescht, du bisch „fest, du bist“; auch in Alt­bayern  wird sp, st häufig zu šp, št, auch über die Silbengrenze hinweg (s-b, s-d). In der Verbindung mit r tritt fast durchgängig š auf: rs, rst > rsch, rscht.

 

raišpăn

Rašpĕ

dHuaštn

Kašpă

Kàšpăl

Wirsching

Durscht

Wurscht

erštns

Birschtn

Foršt

Ferštă

Gerštn

Ferštn, Feršn

Augšburg

Rengšburg

Mošburg

Òmšberg

Àrnšdorf 

räuspern

Raspel

*der Husten

Kaspar

Kasperl (*Kasperle)

Wirsing

Durst

Wurst

erstens

Bürste

Forst

Förster

Gerste

Ferse

Augsburg

Regensburg

Moosburg

Abensberg

Arnstorf

tsch

(=)

 

52

Die Affrikata tsch ist im Bairischen viel häufiger als in der Hoch­sprache. Sie kann ge­spannt oder ungespannt auftreten: als  tsch = tš (Fortis) bzw. dsch = dš (Lenis).

Sie kommt auch durch Assimilation der Artikelform die > d zustande. (Anlauten­des tsch wird niemals verein­facht zu sch). – Siehe dazu auch in § 15.

 

Tschinelln

dSchua

dSchui

dSchachtl

dScheissn

Britschn

Bidschn

Lädschn

Drudschăl

Tschinelle (Becken)

die Schuhe

die Schule

die Schachtel

(Durchfall)

(Vulva; böse Frau)

(Mildkanne)

(Mund; Gesicht)

(einfältiges Kind)

f

 

 

 

v

f 

53

Vielfach wird geschriebenes v auch in Fremdwörtern als stimmloses f gesprochen. In Namen wie „Eva“ oder der Kurzform „Vroni (für Vero­nika)“ ein stimmhaftes labiodentales v zu artikulieren, wirkt affektiert. Karl Valentin legte großen Wert darauf, dass sein Name mit „F“ gesprochen wurde.

In „Klavier, Vase“  steht meist w (s. u. Nr. 60).

 

 

fintn

Aff

Ofă

offă

 

Froni, Vroni

Efa, Ef, Eva

Falĕ, Valentin

Nofembă

Sil-, Sui-, Säi-      festă

Festl, Feštl

 

 

finden

Affe

Ofen

offen

 

Veronika

Eva

Valentin

November

 

Silvester

 (dgl. als Vorname)

pf

54

Die Affrikata pf kommt auch durch Assimilation der Artikelform die > d zustande (dFrau > pFrau). – Siehe dazu auch in § 15. Im In- und Aus­laut kann pf ge­spannt oder unge­spannt auftreten: als pf (Fortis) bzw. bf (Lenis).

Koobf

Kepf

Schluubf

schlupfă

Groobf

pFingă

pFotzn

pFeiăweă

Kopf

Köpfe

Schlupf

(*schlüpfen)

Kropf

die Finger

(Mund, Gesicht)

die Feuerwehr

ch

 

 

 

 

 

 

 

h

h

 

 

 

 

 

ch

 

 

55

In Lenissilben neigt ch zur ge­schwächten Aussprache, fast wie der Hauchlaut h, z.B. „lachen, kochen“ = laaha, kooha. – Zum Lautwechse h statt s siehe oben bei Nr. 49.

 

Wenn es sich bei einem sogenannten Dehnungs-h um ein etymologisch begründetes h handelt, wird ch gesprochen.

 

zààch

gààch

rauch

Dààchĕ

zechă

Zechăn

seichă

leichă

gliicha

Weich

gweicht

Schuach

rauch 

zäh

jäh

rau (rauh)

(Dohle)

zehn

Zehe(n)

seihen

leihen

geliehen

Weihe

geweiht

Schuhe (Plural)

rau(h)

In bestimmten festen Zusammen­setzungen ist h verstummt: aussi, eini, fiari, owi; aussa, eina, fiara, owa usw. (< aus-, ein-, für-, ab-hin; aus-, ein-, für-, ab-her) „hin-aus,

 -ein, (nach vorn hin), hinab; her-aus, -ein, (nach vorn her), herab“.

 

 

 

 

 

14.3  Nasale, Liquiden, Halbvokale

 

 

Hoch-

sprache

Bairisch

Nr.

Erläuterungen

m

n

ng

m

n

ng

56

57

58

Zur Nasalierung bei n und m siehe oben § 12, zu m, n, ng als Ergebnis von Silbenschwund und Assimi­lation siehe oben § 4 und § 14.1 (Nr. 40, 43, 48).

l 

l 

59 

Zur postvokalischen Vokalisierung siehe oben in § 11 (Nr. 18 – 23),

auch § 13.4.

r

r

60

Silbenanlautendes r wird über­wiegend als schwach gerolltes Zungen-r gesprochen. Daneben gilt auch Zäpfchen-r, nicht jedoch eine dem „ach-Laut“ angenäherte Artikulation.

Zur postvokalischen Vokalisierung siehe oben in § 11 (Nr. 24 – 27),

auch § 13.2.

w

 

v 

w

61

Abweichend von der Hochlautung, die stimmhafte und labiodentale Aus­sprache vorsieht, wird das w im Bairischen als stimmloser bilabialer

Reibelaut artikuliert. Dies gilt auch für qu = gw, siehe oben Nr. 46. –

Zur Aussprache von v in Fremd- und Lehnwörtern siehe oben bei

Nr. 53.

j

ĭ

62

Abweichend von der Hochlautung, wo j als stimmhafter Reibelaut gesprochen wird, ist es im Bairischen ein nicht-silbisches ĭ, also eher ein Halbvokal als ein

Reibelaut. „Jäger, Jagd, Josef“ =

Ĭàgă, Ĭakt, Ĭosèf. Basismundartlich liegt bei „jeder, jemal(s)“ der Di­phthong ia (nordbair. äi) auf: ăn iadă, (ă) diamòi (ăn äidă, äiămòl); mhd. liegt der Zwielaut ie zugrunde, nicht aber je (ieder, iemal).

 

  

 

§ 15

 

Konsonantenverbindungen, Cluster, unbetontes -e

 

Über die aus der Hochsprache vertrauten Konsonantenverbindungen hinaus kennt das Bair­i­sche viele weitere, die auf den ersten Blick recht kurios anmuten (und irgendwie ans Tsche­chische er­­innern, wo es z.B. vokallose Wörter wie čvrtek „Donnerstag“ gibt, oder den Satz: Strč prst skrz krk.). Eine besonders reizvolle Häufung im Bairischen liegt mit „-chzggschpr-“ vor – in dieser volkstümlichen Verschriftung 10 Konsonanten-Buch­staben umfas­send, die im­mer­­hin 8 Phonemen entsprechen: [ç]+[t]+­[s]+[g]+[g]+[š]+[p]+[r]. Die­­ses „Clus­ter“ kommt vor in „60 gesprenkelte Eier“, bairisch sèchzg gschprenklde Oar. Die Ur­sache für das Zu­sam­mentreffen so vieler Konsonanten liegt im lautgesetzlichen Ausfall von Vo­­ka­len in un­beton­ten Silben (Elision, vor allem e-Synkope; siehe dazu auch in § 4).

 

15.1

Die unbetonte Form des bestimmten Artikels „die“ ist ein bloßes d, das sich an den folgenden Kon­sonanten angleicht (Assimilation). Daraus resultieren Lautungen wie pf, ts (= z), tsch, z.B. pFrau, pFinga, pFeiawea, tSau, tSchui usw. („die Frau, Finger, Feuerwehr, Sau, Schule“, s.o. in § 14.2, Nr. 50, 52, 54).

 

15.2

 

ge- > g-

mhd. ze/ze-

 > z (= ts)

Gfui, Gfèi

gflong

Gfrett

Gsetz

gsund

Gsèischaft

Gsuach

gscheid

gschickt

Gschiiß

gschlòng

Gschlooß

gschmissn

gschmàckig

Gschmoass

gschniin

gschrian

gschwind

Gšpàss

gšpinnăd

Gšpusi

gšpreizt

gštantn

gštrààd

gštriichă

Gefühl

gefolgen

(Schererei)

Gesetz

gesund

Gesellschaft

Gesuch

gescheit

geschickt

(Schererei)

geschlagen

Schloss

geschmissen

(wohlschmeckend)

Geschmeiß

geschnitten

geschrien

geschwind

(*Spaß)

(verrückt)

(Geliebte/r)

gespreizt

gestanden

gestreut

gestrichen

zBassau

zbroad

zbled

zdeiă

zdruckă

zvui, zvèi

zFreising

zfriidn, pfrim

zgroß, zgrous

zlang

zleng

zmiad

znòs

zreissn

zruck

zsauă

zschòd

zgscheid

zšpäd

zgschlampăd

zwander

zwider

zzààch

zŠtraubing

zZolling

(in) Passau

zu breit

zu blöd

zu teuer

zu trocken

zu viel

(in) Freising

zufrieden

zu groß

zu lang

zerlegen

zu müd(e)

zu nass

zerreißen

zurück

zu sauer

zu schad(e)

zu gescheit

zu spät

zu schlampig

zu zweit

zuwider

zu zäh

(in) Straubing

(in) Zolling

 

Bei den Vorsilben ge- und z- (< mhd. ze, in der heutigen Schriftsprache: zer-) sowie bei  z in präpositionaler Verwendung (< mhd. ze, in der heutigen Schriftsprache: zu) fällt das e grund­sätzlich weg, es resultieren über die in der Hochsprache gängigen Verbindungen gl, gn, gr, qu = gw, x = gs, zw hinaus – die anlautenden Laut­ver­bin­dun­gen gf, gfl, gfr, gs, gsch, gschl, gschm, gschn, gschr, gschw, gšp, gšpl, gšpr, gšt, gštr sowie zb/zp, zbl/zpl, zbr/zpr, zd/zt, zf, zfl, zfr, zg/zk, zgl, zgr, zl, zm, zn, zs (=ts), zsch (= tsch), zgsch, zgschl, zgschm, zgschn, zgschr, zšp (= tschp), zšt (= tscht), zštr (= tštr), zz (= tsts).

 

15.3

Bei der Vorsilbe be- liegt der merkwürdige Fall vor, dass in dialektnaher Sprache die erwar­te­te Kürzung zu b- nur vor einem folgenden Zischlaut (s, sch) belegbar ist, und auch nur in be­stimm­ten Wörtern (Liste 15.3.1).

            Ansonsten sind Wör­ter mit dem Präfix be- in der Mundart nicht üblich (sie sind mit einem * ver­sehen). Lautungen wie *bmeaka, *voabreitn für „be­merken, vorbereiten“ sind undenkbar; da­für stehen andere Ausdrücke zur Verfügung (in der mit be­zeich­neten Spal­te in Liste 15.3.2).

 

15.3.1

 

be-s> bs…

be-sch> bsch…

bsondăs

besonders

bsuachă

besuchen

bsorng, bsoang

besorgen

Bsuach

Besuch

bsină

besinnen

bsuffă

besoffen

bsetzn

besetzen

bscheissn

bescheißen

bschòng

beschlagen (Hufe)

Bschoad

(Mitbringsel)

Bšteck

Besteck

bštèin

bestellen

bšteh

bestehen (= angesehen sein)

 

15.3.2

 

*

sich *beeilen

sich schicken

*befehlen

anschaffen, schaffen

*befeuchten

netzen

begreifen

kapieren, gneißen

*bekommen

kriegen

*belügen

anlügen

bemerken

spannen, gneißen

vor-, zu-bereiten

herrichten

*berichtigen

korrigieren

*berühren

anlangen

sich *besaufen

sich einen ansaufen

*beschneiden

zuschneiden, stutzen

besichtigen

anschauen

*besiegen

Herr werden

*besohlen

doppeln (Schuhe)

*besprechen

reden über, diskrieren

*besteigen

steigen auf

bestimmt

gewiss

*bestreichen

einstreichen

*betasten

anlangen, antappen

sich *betrinken

sich einen ansaufen

*betrügen

bescheißen, übers Ohr hauen

sich *bewegen

sich rühren

*beziehen

einziehen in (Wohnung)

*beziehen

überziehen (Sofa)

 

 

Das Adjektiv bsuffa ist geläufig, nicht jedoch das Verb *bsauffa; ähn­lich ist es bei Bschoad, wo­­zu weder das Verb noch das Adjektiv Dialektdeckung aufweisen. – Das häufige Verb „be­halten“ wird verkehrssprachlich bhòitn, bhoitn ausgesprochen. In den nord­bairischen Mund­arten ist Assimilation (bh > pf) eingetreten: pfoltn, in vielen mittel­bairischen Regionen er­scheint Präfixwechels (be- ersetzt durch ge-): ghòitn.

 

Werden hochsprachliche Wortbildungen mit be- in dialektnahe Rede übernommen, so gilt, was unten in § 15.5  ausgeführt wird.

 

 

15.4

Durch Wegfall von unbetontem -i- im Wortausgang der Zehner-Zahlwörter entstehen die Kon­sonanten-Cluster ssg, zg (= tsg), chzg (= chtsg):

dreissg „dreißig“

zwanzg, viazg, siwazg/sipzg, neinzg „zwanzig, vierzig, siebenzig/siebzig, neunzig“

fuchzg, sechzg, achzg „fünfzig, sechzig, achtzig“

 

 

15.5

Bei Wörtern, die aus der Hochsprache übernommen sind (quasi Entlehnungen), werden un­betonte e-Laute als relativ langes (geschlossenes oder offenes) e artikuliert (hier mit dem Zei­chen ē wieder­gegeben), nicht als reduziertes ö, wie in der Hoch­­­lautung vorgesehen. Demnach weisen Wör­ter wie „Gelegenheit, Beschwerde“ in der bai­rischen Verkehrssprache zwei bzw. drei in etwa glei­che e-Laute auf: Gēlēgnheid, Bēschwēadē. Weitere Beispiele: Bē­höadē, bēlēgdē Brodē, alles Gudē, bēstimmd, bēreits, bēfriedignd, bēschreibm („Behörde, be­legte Brote, alles Gute, be­stimmt, bereits, be­frie­digend, beschreiben“), ebenso alle Wörter in der mit * markierten Spal­te (Ta­bel­le 15.3) sowie viele andere mehr.

Während die Verbformen „ich bitte, ich danke“ im Bairischen lautgesetzlich als i bitt, i dank auftreten, fällt das aus­lautende -e bei formelhaft verwendetem Bitte oder Danke nicht weg. Auch diese Formen sind Entlehnungen aus der Hochsprache und werden meist bittē, dankē aus­­gespro­chen. Im Dia­lekt heißt es dafür: bittschee, biggò(r)schee, dankdăschee, dang­schee „bittschön, bittgarschön, dankdirschön, dank­­­schön“ usw.

 

 

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 Seite zuletzt aktualisiert am 11. April 2006

 

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