(Ungekürter Bericht von Sepp
Obermeier, Niederbayern/Oberpfalz-Vorsitzender des Fördervereins Bairische
Sprache und Dialekte, an das
m Straubinger Tagblatt, 25. April 2003)
Vorurteil abgebaut: Bairisch ist auch
Deutsch
Professor Ludwig Zehetner referierte bei der
Katholischen Erziehergemeinschaft
Prof. Ludwig Zehetner hielt in Bogen ein
Fortbildungsseminar zum Thema „Ist Bairisch auch Deutsch". Das
Schulamt Straubing-Bogen befürwortete dieses Seminar ausdrücklich und belohnte
die teilnehmenden Lehrer sogar mit Fortbildungspunkten!"
Straubing-Bogen. „Hartnäckig sich haltende Vorurteile wurden konsequent abgebaut
und von den gängigen Klischees, die Bairisch am liebsten als verdorbene
Hochsprache darstellen wollten, blieb nichts mehr übrig!“. Dieses Fazit zog
Ursula Elsberger, die Kreisvorsitzende der Katholischen Erziehergemeinschaft
(KEG), am Samstag in der Bogener Hauptschule nach einem
sprachwissenschaftlichen Referat von Prof. Ludwig Zehetner über das Thema „Ist
Bairisch auch Deutsch?“. Friedrich Doering, der KEG-Bezirksvorsitzende,
hatte eingangs im Namen der vierzig anwesenden Lehrer dem weltweit einzigen
Professor für Bairische Dialektologie an der Universität Regensburg eine
fundierte Standortbestimmung zur Thematik „Dialekt und Schule“ ans Herz gelegt,
da manchmal doch eine gewisse Verunsicherung bei Lehrern und Eltern zu
beobachten sei.
Bevor der Referent einen
weiten Bogen spannte von der Sprachgeographie des Deutschen, über seine
Sprachgeschichte zur Etymologie, stellte er fest, daß es eine völlig
einheitliche deutsche Hochsprache überhaupt nicht gibt, sondern zunehmend ein
mit nördlichen Regionalismen unterflittertes Schwachdeutsch, das von den
elektronischen Medien und der Werbeindustrie erfolgreich als Hochdeutsch
verkauft wird.
Die Frage „Dialekt und
Schule?“ stellte sich gar nicht, wenn sich eine breite Öffentlichkeit inklusive
einflußreiche elitäre Berufsgruppen mit der Sprachgeographie des Deutschen
einmal näher beschäftigen würden. Der deutsche Sprachraum ist in drei Teile
gegliedert: in den niederdeutsch-hochdeutschen, den west-mitteldeutschen und
den west- und ostoberdeutschen Sprachraum. Das Bairische ist dabei identisch
mit dem ostoberdeutschen Sprachraum, der sich als größter Dialektraum
(„ai“-Schreibweise) ohne Franken und Schwaben („ay“-Schreibweise) über
Altbayern, Österreich (ohne Vorarlberg) und Südtirol erstreckt.
Dabei widerlegte Prof.
Zehetner auf Anfrage die oft gehörte Behauptung, daß im Raum Hannover ein
vorbildliches Hochdeutsch gesprochen werde. Wird das Wort „spitz“ ohne „sch“
ausgesprochen, so kommt eindeutig ein
niederdeutsches Dialektmerkmal zum Vor- schein, ebenso wie bei der Aussprache
von „Farrer“ und „Ferd“ für Pfarrer und Pferd. Vielmehr hat sich hierbei das bairische Deutsch um
etliche hundert Jahre weiterentwickelt, da es die Lautverschiebung von „p“ zu „pf“ längst vollzogen hat. Das heutige
Gegenwartsdeutsch läßt sich in fünf Sprachebenen einteilen, wobei die
idealisierte Hochsprache in Reinform eigentlich nur im Operngesang erreicht
wird. An zweiter Stelle steht bereits die landschaftlich-städtische
Umgangssprache mit dialektaler Färbung, nämlich das Bairische Deutsch, das in
fast allen altbayerischen Städten gesprochen wird. Die Semmel in Wien und
Straubing mit einem stimmlosen „s“ ist dabei ebenso korrekt wie das mit
gespitzten Lippen gehauchte Brötchen in Hannover und Braunschweig. Schließlich
ist ein fließender Übergang zu beobachten von den überregionalen
Verkehrsdialekten in den Regierungsbezirken über die kleinregionalen
Verkehrsdialekte der Landkreise bis zu den Orts- und Basisdialekten der
Gemeinden und Weiler.
„Altes“ ei
wird zu oa
Ludwig Zehetner spielte
schließlich den ausnahmslos dialektkundigen Lehrern als Hörbeispiel eine
Tonbandaufnahme vor. Eine bekannte Gewährsperson erzählte im authentischen
Rattenberger Basisdialekt von sechs Musikanten, die, angelehnt an ein morsches
Holzgeländer, vor dem Begräbnis einen Trauermarsch spielen. Als das Geländer
den sechs Mannsbildern nicht mehr standhält, landen diese samt Trompeten auf
dem Misthaufen. Anhand von 50 Fallbeispielen aus diesem Text konnten die
Lehrkräfte die erstaunlich regelhaften Strukturen, die grammatischen
Besonderheiten und Kuriositäten in der Lautung, in der Formenlehre, im
Geschlecht der Hauptwörter, im Satzbau, in der Wortbildung und im Wortschatz
ergründen und ein nahezu perfektes, eigenständiges Sprachsystem zu Tage fördern.
Dabei wurde mit dem sogenannten Silbenreduktionsindex, der Maßzahl für den
Dialekt, sogar der Dialektgrad des Textes gemessen. Immer wieder wurde
deutlich, wie konsequent sich die bairische Sprache vom Alt- und
Mittelhochdeutschen her weiterentwickelt hat. Besonders die Richtungsadverbien
werden bei echten Mundartsprechern immer hundertprozentig richtig vom
Sprecherstandpunkt aus angewandt. Da es beim nordlastigen Fernsehdeutsch in
dieser Hinsicht allerdings gewaltig hapert, antwortet der Dialektologe nach
eigenem Bekunden auf die Frage „Kommst du hoch zu mir?“ stets ironisch
konsequent: „Bevor du nicht nieder kommst nicht!“ Durch die bairische
Grammatikregel, die besagt, daß ein alt- oder mittelhochdeutsches, also ein
altes „ei“ zu „oa“, sowie ein altes „î“
zu „ai“ wird, unterscheidet das
Bairische exakt bei Wörtern mit gleicher neuhochdeutscher Schreibweise, wie
z.B. „weiß“ als Wissensbekundung und Farbbezeichnung: „ich weiß, daß das
Hemd weiß ist“ und „i woas, das
s Hemad weiß is“. .In der bairischen Grammatik gibt es zwar kein Imperfekt,
es wird jedoch ähnlich dem französischen „passé surcomposé“ eine 4. Vergangenheit gebildet: „er is ganga
gwen“. Analog zum englischen Gerund „they started running“
sagt man bairisch „sie ham s Renna ogfangt“, da
Satzkonstruktionen allein mit „zu“ nicht üblich sind. Bei der Genitivform „der
Sohn des Verstorbenen“ wird durch einen komplizierten analytischen und
synthetischen Satzbau eine hohe Genauigkeit erreicht: „und da Bou do vo dem
der wo gstorbn is gwen“
Der Einser
und die Achtbahn am Hagen
Großen Wert legte der
Referent zum Schluß auf das Erkennen eindeutig hochsprachlicher Wörter und
Redewendungen in einem südlichen Hochdeutsch und deren Unterscheidung von
vermeintlich hochsprachlichen Pendants, die aber sprachwissenschaftlich nur als
„Nordsprechslang“ einzuordnen sind. Nicht nur eine erfolgreiche
Elternprotestwelle in einem oberbayerischen Kindergarten, der gar nicht
regionsloyal in „Die Murmel“ umbenannt werden sollte, wurde angesprochen,
sondern auch die hochsprachlich richtigen Zeugniszensuren, wie zum
Beispiel „der Einser und der
Zweier“ anstatt „die Eins und die Zwei“. Andernfalls dürfte
der Straubinger Volksfestausschuß auf dem Gäubodenvolksfest nur noch den
Betreiber einer „Achtbahn“ zulassen. Fast das gesamte Spektrum des
„Küchenbairisch“ ist ebenfalls der hochsprachlichen Ebene zuzuordnen, die
Wirklichkeit in der Gastronomie sieht bisweilen jedoch anders aus.
Wichtige
soziale Nähe durch den Dialekt in der Schule
Konkret darauf
angesprochen, ob denn nun im Elternhaus das Standarddeutsche eingeübt werden
sollte und ob im Unterricht der Dialekt überhaupt angebracht sei, ließ
Zehetner, der auch etliche Jahre Konrektor des Regensburger
Domspatzengymnasiums war, keinen Zweifel aufkommen :“Dahoam werd nur bairisch
gredt!“. Im Unterricht befürwortet er eine Partner- und situationsabhängige
Wahl der Sprachebenen. Der schulische Erfolg ist nach seinen Worten
insbesondere beim Erlernen von Fremdsprachen eindeutig höher, wenn zwischen
mehreren Sprachebenen oder Sprachsystemen hin und her geschaltet wird.
Dialektsprechende Kinder haben hier einen natürlichen intellektuellen Vorsprung
vor den nur einsprachig aufwachsenden Klassenkameraden.
Der
Niederbayern/Oberpfalz-Vorsitzende des Fördervereins Bairische Sprache und
Dialekte, Sepp Obermeier, informierte hierzu, daß in Brandenburg seit vier
Jahren mit großem Erfolg ein EU-Projekt für Zweisprachigkeit im Kindergarten
läuft. Deutschsprachige Eltern schicken dort ihre Kinder in sorbische
Kindergärten um ihnen vor der Grundschule das spielerische Erlernen dieser fast
ausgestorbenen westslawischen Sprache, die neben der Ein- und Mehrzahl auch die
Zweizahl und nicht nur vier sondern sogar sieben Fälle kennt, zu ermöglichen.
Professor Zehetner verwies auf eine ähnliche Entwicklung bei der Wiederbelebung
der irischen Sprache und folgerte, daß es in Bayern ein Rückschritt wäre, mit
der Muttersprache einen natürlich erworbenen Vorsprung und Kulturschatz ohne
Not aufzugeben. Er riet den Zuhörern zu einem unverkrampften Verhältnis im
Nebeneinander von Standard-deutsch und
Dialekt. Man sollte sich dabei die englische Sprache vor Augen führen,
in der Schreibweise und Aussprache fast immer zwei Paar Stiefel sind, wie eben „An Lehra sei Sach,“
beziehungsweise „die Sache des Lehrers“!
Einer Lehrerin, die zu
bedenken gab, daß sie sich völlig deplatziert fühlte, wenn sie auch im
schulischen Umfeld einen standarddeutschen Umgang mit den Schülern verordnet
bekäme, pflichtete Zehetner bei, da der Dialekt wie keine andere Sprachebene
eine wichtige soziale Nähe herstellen könne und für eine Verwurzelung sorge.
Schulamtsdirektor Herbert Schedlbauer wies abschließend aus der Sicht des
Schulamts Straubing-Bogen auf den hohen Stellenwert hin, den die Mundart in
seinem Verantwortungsbereich einnimmt. Er sei nicht ganz glücklich über die
Bezeichnung Mundartpflege, da die
natürliche Art des alltäglichen, ungezwungenen Redens in der Mundart eigentlich
die effektivere Methode sei. Der Professor für bairische Dialektologie stimmte
dem wissenschaftlich voll und ganz zu: „Sie sollten ihre mittelbairische
Primärkompetenz durchaus täglich praktizieren!“.
Straubing Tagblatt Redaktion: tagblatt am 21. Mai 2003
© 2003 Zeitungsgruppe
Straubinger Tagblatt / Landshuter Zeitung
letzte
Aktualisierung von dieser Seite: 23. Mai 2003