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„Become a Schuhplattler – it is fun and more“

The Sound of Plattling

Viele Amerikaner sind vernarrt in bayerisches Brauchtum – sogar der Präsident besitzt eine Lederhose


Von Hans Kratzer

Als Mrs. Laura Bush vor einigen Wochen zwischen dem Stetson und den Cowboystiefeln des Präsidenten eine Miesbacher Lederhose verstaute, war die Globalisierung wieder ein Stück vorangekommen. Plötzlich umwehte ein Hauch von Leichtigkeit die stramme Achse Bayern-Washington, was aber kurioserweise nicht der CSU, sondern dem Kanzler zu verdanken ist. Dieser war es, der den mächtigsten Mann der Welt mit einer Krachledernen überrascht und ihn damit symbolträchtig mit dem ältesten Staat Europas verbandelt hatte. Allerdings hatte Gerhard Schröder wohl weniger die Annäherung zwischen Bush und Bayern im Sinn als vielmehr seine eigene Genealogie: schließlich muss ja auch das Weiße Haus mal erfahren, dass der Kanzler zwar Preuße von Geburt, durch Fügung seines Ehestands aber mittlerweile auch Bayer ist. Darüber hinaus machte das Geschenk insofern Sinn, als George W. Bush von Statur und Auftreten (Haxn eines Almhirten, Rhetorik eines Holzknechts, Blick eines Wilderers) gelegentlich den Eindruck erweckt, er entstamme geradewegs dem Reich des Maximilianeums.

Nun ist allerdings die Abneigung des Texaners Bush gegen alles Europäische bekannt, weshalb es fraglich erscheint, ob die neue Lederhose seinen Sinn für bayerisches Brauchtum heben wird. In der Mitgliederkartei des ehrwürdigen „Texanischen Schuhplattlervereins Dallas“ sucht man jedenfalls vergeblich nach seinem Namen, was unterstreicht, dass Bush weder mit dem dort gepflegten Tanzstil („become a Schuhplattler – it is fun and more“) noch mit der dazu gehörigen Musik („the Sound of Plattling“) bisher etwas anfangen konnte. Dabei künden gerade die Bräuche der Bayern von deren Unbeugsamkeit, eben jene Tugend, die Bush im Kampf gegen die Mächte des Bösen ständig beschwört.

Für die Effizienz bajuwarischer Dickschädeligkeit ist die Lederhose der beste Beweis. Blättern wir deshalb kurz zurück in die gute alte Zeit des Prinzregenten, als die Kurzhosenvereine in Bayern noch das Ansehen von arabischen Studenten in amerikanischen Flugschulen genossen. Die Pfarrer warfen ein scharfes Auge auf sie, weil die Burschen und Dirndln dort angeblich Gelegenheit fanden, unkontrolliert zusammenzukommen. Anno 1913 erklärte das Erzbischöfliche Ordinariat in München Teile der Gebirgstrachten- Erhaltungsvereine sogar als sittenwidrig, worauf sich der Klerus weigerte, deren Fahnen zu weihen. Doch die Burschen aus dem Oberland schleppten die Banner trotzig in die liberalere Erzdiözese Salzburg, mit der Folge, dass die christkatholische Obstruktion in Oberbayern kläglich verpuffte, die Popularität der Hirschledernen sich aber über den gesamten Erdkreis ausbreitete. Mit den Lederhosen drängten aber auch immer mehr Menschen aus dem Bayernland hinaus, das im 19. und frühen 20. Jahrhundert alles andere als ein Paradies war. Hunderttausende machten sich auf „ins Amerika“: Schmuggler, die vor der drohenden Strafe flüchteten, junge Burschen, die den Militärdienst oder die Folgen einer Liebschaft fürchteten, Knechte und Bauernsöhne, die endlich das eigene Feld beackern wollten. Häufig aber kamen sie vom Regen in die Traufe. Wie die dichtende Wirtstochter Emerenz Meier, die in Chicago im Elend versank, wie der Bauernsohn Joseph Wühr, der von der Ost- an die Westküste irrte, wie der Wanderknecht Alois Baumann, der in den Silberminen Auszehrung statt Reichtum erntete. Entwurzelt und verloren klammerten sich viele Auswanderer an die alte Heimat. Selbst große Geister wie Oskar Maria Graf, der sein Exil im nördlichen Manhattan durchlitt, wo er ein Vierteljahrhundert lang seine speckige Lederhose anbehielt, aus steinernen Maßkrügen trank und das Bayern-Epos „Das Leben meiner Mutter“ vollendete. Oder jene Pioniere, die mitten im Wilden Westen Bauernhäuser aufstellten, wie wir sie heute höchstens noch auf der Glentleiten finden. In den Großstädten aber erwachte der „spirit of Gemuetlichkeit“, weshalb Amerika mit Oktoberfesten reich gesegnet ist: oans, zwoa, gsuffa – für Wiesnbesucher in Cincinnati, Ontario, Leavenworth und Rochester schon längst ein landesübliches Zeremoniell.

Und als Europa in Schutt und Asche sank, gründeten Auswanderer und Exilanten drüben von Florida bis Kanada erst recht Blaskapellen und Trachtenvereine – mit Miesbacher Einheitstracht und bergjodlerischen Namen. Sie nennen sich patriotisch „The Bavarian Schuhplattlers of Edmonton“ und „D’Chiemgauer Winnipeg“, klingen mitunter jagerisch wie „The Original Auerhahn Schuhplattlers of Miami“ und der „Trachtenverein Hirschjäger Richmond“ oder heben das Alpengefühl hervor wie die „Bergvagabunden Kingston“ und „D’Lustign Wendlstoana Milwaukee“, um nur einige der 80 Vereine aus dem Trachtengau Nordamerika zu nennen, die getreu dem Aufruf der frühen bayerischen Trachtenväter, „in der inneren Haltung und im äußeren Gewand immerdar Söhne und Töchter unserer Heimat bleiben“. Wie Schattengewächse florieren daneben zünftige Musik-Kapellen wie die „Lustige Almdudler Band Rochester“ und die „Sauerkraut Band Blacksbury“, die in Sachen Traditionspflege ebenfalls nichts anbrennen lassen: „we have Zwiefache in our repertoir“.

Auch Hans Lehrer, Schriftführer des Trachtenverbands Isargau, kam bei seinem letzten Amerika-Trip aus dem Staunen nicht mehr heraus: „Da waren sogar ein paar Schwarze in Tracht, die Bayerisch konnten.“ Wenn sich die US- Trachtler im Mai 2003 in Philadelphia „treu dem guten alten Brauch“ zum 19. Gautrachtenfest (mitsamt Verleihung des Golden Gamsbart Awards) treffen, wird auch Robert Kant aus Chicago dabei sein: „I am the Zweites Vorplattler from the D’Lustigen Holzhacker Buam“, schreibt er in einer Email und erklärt seine Begeisterung für die Tracht mit dem Umstand, dass seine Mama „aus Freising- Lerchenfeld stampt“. Als sehr förderlich für die US-Trachtenbewegung erweist sich neben bayerischen Vorfahren natürlich auch die kulturelle Flexibilität einer Stadt wie Chicago, in der die Koexistenz von Gangsterbanden und Gebirgstrachten-Erhaltungsvereinen eine Selbstverständlichkeit ist.

Auch in Bayern sind die Zeiten vorbei, da sich der Horizont der Trachtler, Monarchisten und Brauchtumspfleger auf das Wirtshaus begrenzte. Die meisten Trachtenvereine haben eine Homepage im Internet, wobei Andreas Huber vom Trachtenverband Isargau Pionierarbeit leistete. Seine Seite www.isargau.de machte weltweit Furore: „I really enjoyed learning much more about the Bayerische Heimat“, schrieb ihm kürzlich der Surfer Bela Pater. „An manchen Wochen verzeichnen wir 20 000 Zugriffe“, sagt Huber, der den Trachtlern ein neues Image verpasst hat: „Wir sind keine alten Männer mit langen Bärten, die im Bierzelt sitzen, sondern wir wollen Traditionen bewahren und gebrauchen dazu auch moderne Technik.“ Und so bietet seine Web-Seite Informationen über alte Tänze, Trachten und Volkslieder, einen Mausklick weiter öffnet sich das virtuelle Lederhosenmuseum („Infotainment about the Krachlederne“), und beim Förderverein Bairische Sprache und Dialekte erörtern die Surfer, warum ein echter Bayer nicht Tschüss sagt. Eigentlich aber müsste dessen Vorsitzender Hans Triebel verzweifeln: Während der Dialekt vor der Haustür an Kraft verliert, wächst das Interesse an der bayerischen Sprache in der Ferne rasant. Es ist schon merkwürdig: der oft beklagte Heimatverlust im High-Tech- Land Bayern, die weiß-blaue Begeisterung in Amerika und dazu die grenzenlose Vermarktung der Klischees. Kein Wunder, dass Volkskundler wie Christoph Daxelmüller der Frage nachgehen, ob Heimat eine alpenländische Erfindung sei. Auf der Suche nach einer Antwort hilft vielleicht die Vita des Lehrer-Hans, jenes Paradebayern mit seiner schneidigen Tracht und seinem gedrechselten Schnurrbart. „Als junger Mann hab ich immer gedacht, ich krieg in Bayern keine Luft mehr“, sagt Lehrer, weshalb er sich auf eine lange Wanderschaft in die hintersten Winkel der Erde begab. Er lernte exotische Kulturen kennen, heiratete eine Türkin, ist fasziniert vom Islam und kam doch wieder zurück: „Weil mich meine bayerische Heimat am meisten freut.“ Im kommenden Mai wird Hans Lehrer das Gautrachtenfest in Philadelphia besuchen, zu dem der Gauverband Nordamerika auch George W. Bush einladen wird. Kommen wird er wohl nicht, obwohl im Kleiderschrank des Weißen Hauses, zwischen dem Stetson und den Cowboystiefeln, die passende Hose schon bereit läge. Jene Krachlederne aus dem eigenwilligen Land jenseits des großen Teichs, das Amerika mehr geprägt hat als der stolze Präsident vermutlich ahnt.


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