Bayerische Lebenmittelläden
bieten nur noch Weihnachtsmänner an
Der Nikolaus
hat ausgedient
Warum die in
Bayern fest verankerte Traditionsfigur aus den Süßwaren-Regalen verschwunden
ist
in der SZ vom 26./27. November 2005
Von Hans Kratzer
München - In der Schokoladenecke eines großen Münchner
Kaufhauses ist der Advent eingekehrt. Gleißende Lichter, Käuferhorden und
röhrende Jingle Bells zerren an den Nerven der Verkäuferin, aus ihren Augen
fahren Blitze: ¸¸Ja Herrgott, was ist denn da der Unterschied?" Der Kunde
zuckt, er will doch nur einen Schoko-Nikolaus, den er
aber hier nicht findet. Deshalb hat er penetrant nachgefragt, während die Mimik
der Frau verrät: ¸¸Was will dieser Dödel, neben ihm
türmen sich doch Hunderte von Schokomännchen?" Hinter der Theke kommt
dennoch eine Erörterung des Themas in Gang. Eine erfahrene Kollegin wird zu
Rate gezogen, sie erklärt den Unterschied zwischen Weihnachtsmann- und
Nikolausfigur pragmatisch: ¸¸Ist ganz einfach, bis zum Nikolaustag nennen wir
die Figuren Nikoläuse, und danach heißen sie halt Weihnachtsmänner."
Gut, dass der Pfarrer Walter
Strasser aus dem niederbayerischen Konzell das nicht gehört hat. Der hält
nämlich große Stücke auf den heiligen Nikolaus, den Weihnachtsmann schätzt er
weniger. Als er freilich vor kurzem im örtlichen Laden Schoko-Nikolause
kaufen wollte, erlebte er eine dicke Überraschung: Nein, Nikolause habe sie
nicht, sagte die Kramerin, die Zulieferer führten nur
noch Weihnachtsmänner im Sortiment. Also fuhr der Pfarrer gen Straubing und
klapperte dort alle Geschäfte ab. Er stieß zwar auf Weihnachtsmänner (¸¸ho-hi-hol-ihn-dir!"), Elche und Wichtel in allen
Variationen, sogar auf eine Schoko-Nikola, aber den
guten alten Nikolaus mit Stab und Mitra suchte er vergeblich. Nach endlosen
Telefonaten musste Strasser erkennen: Nicht nur in
Straubing, sondern in ganz Bayern haben die Schoko-Nikolause
den Weihnachtsmännern mit ihren Zipfelmützen weichen müssen. Nur die Firmen
Brandt in Landshut und Fesey in Ottobrunn stellen
noch kleine Stückzahlen in Handarbeit her.
Der Karikaturist und Auswanderer Thomas Nast
aus dem pfälzischen Landau hatte 1862 für Harper"s
Weekly seine berühmteste Figur gezeichnet: Santa
Claus. In Amerika tobte der Bürgerkrieg, und der Alte im Pelzrock sollte laut
dem Historiker Michael Martin die Kriegspropaganda befeuern. Im Jahre 1931
vereinnahmte dann der Coca-Cola-Konzern die Figur als Werbeträger, aus dem
pfälzischen Weißbart wurde Amerikas Übervater. In Bayern war indes der Nikolaus
die dominierende Gestalt der Adventszeit. Dessen Kult hatte sich in grauer
Vorzeit in Konstantinopel entfacht, von dort aus drang er seit dem 9.
Jahrhundert ins Abendland vor. Besonders die Bayern verehrten den Nikolaus heiß
und innig, allein in der Diözese Passau finden sich 30 Nikolauskirchen.
Wunderschöne Legenden befeuerten den Mythos des Nikolaus und den Brauch des
Schenkens, aber auch die ihn begleitenden heidnischen Schreckgestalten wie den
Krampus, den Klaubauf und den Knecht Ruprecht.
Vor einigen Jahrzehnten aber begann sein Ruhm zu bröckeln.
Sicher spielte da auch die Besatzungszeit mit, in der die Amerikaner ihre
Weihnachtsbräuche nach Bayern transferierten. ¸¸Der Weihnachtsmann ist jedoch
eine wesentlich flachere Figur als der Nikolaus", sagt Stefan Hirsch, der
Bezirksheimatpfleger von Oberbayern. Seine Bildinhalte seien nicht von der
Legende, sondern von der Werbeindustrie kreiert. Fernsehen und Kino
beschleunigten den Aufstieg des Weihnachtsmanns rapide, der Niveauverlust des
Massenprogramms setzte dem Nikolaus schwer zu. Unter der kulturellen Dominanz
von oberflächlichem Kinder-TV, Comic-Kult, Gangsta-Rap und Fast-Food-Einerlei
ist die Wertsymbolik einer Heiligenfigur überflüssig geworden.
Die Lebensmittelkonzerne haben die Figur des Nikolaus in
Bayern lautlos aus den Regalen entfernt. Während die Discounter Nikolaus und
Christkind völlig abgeschafft haben, hat Edeka noch einmal versucht, den
Nikolaus nach Bayern zu importieren, doch vergeblich. ¸¸Die Umsätze waren zu
gering", sagt Holger Stahnke. Der Nikolaus blieb
in den Läden stehen, die Verbraucher griffen lieber zum FC
Bayern-Weihnachtsmann.
Der Konzern Kraft Foods liefert zwar noch Nikolause aus,
aber nur in Österreich. ¸¸Dort hängen die Menschen noch an der Tradition",
sagt Sprecherin Nicole Stege. Dazu passt, dass nach dem Benzin-Tourismus nun ein Nikolaus-Tourismus
nach Österreich eingesetzt hat. Immer mehr traditionsbewusste
Bayern wie Hans
Triebel und
Sepp Obermeier fahren nach Schärding und Salzburg, um dort ¸¸echte" Schoko-Nikolause mit Mitra und Stab zu kaufen, und nicht
die ¸¸pausbäckigen Wichtl mit Säufernase,
Rauschebart, Strampelanzug und Gartenzwerghaube". Pfarrer Strasser ist
indes in Dresden fündig geworden, wo der St. Benno-Verlag noch Schoko-Nikolause in Stanniol anbietet. Ausgerechnet in
einem protestantischen Umfeld, das den Nikolausbrauch schon vor Jahrhunderten
zurückgedrängt hatte, wird die Tradition noch am Leben erhalten.
Nr.273, Samstag, den 26. November 2005 , Seite 60
Quelle: Süddeutsche Zeitung http://www.sueddeutsche.de/