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ARTIKEL |
vom
26.01.2008
Die neue Lust am Boarischen
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Der Stammtisch als Dreh- und
Angelpunkt: Beim Brunnerwirt bereden (v.l.)
Brauereibesitzer Franz Kirchleitner (Anton Pointecker),
Bürgermeister Lorenz Schattenhofer (Werner Rom) und Pfarrer
Ignaz Neuner (Peter Rappenglück), was es in Lansing zu bereden
gibt. Metzgersgattin und Köchin Veronika Brunner (Senta Auth)
und die alte Brunnerwirtin Therese Brunner (Ursula Erber)
beobachten das männliche Treiben bisweilen mit gehörigem
Misstrauen. (Foto: BR/Pichler)
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„Dahoam is Dahoam“ - aber das heißt ja nicht,
dass die erste tägliche Seifenoper aus Bayern nicht auch in
Flensburg funktionieren kann. Ein großes Team aus erfahrenen und
jungen Autoren, Regisseuren und Schauspielern sorgt zunächst dafür,
dass der Geist aus Lansing mit Erfolg durch die bayerischen
Wohnzimmer weht.
Von Sabine Jackl Wenn dienstags im
ZDF die „Rosenheim-Cops“ ermitteln, dann schaut man im Bayerischen
Fernsehen in die Röhre. Wenn das die Zuschauer doch nur auch täten.
„Dienstags sind wir immer alle ganz traurig“, sagt Wilhelm Manske.
Denn Dienstags begeben sich die heiß umworbenen TV-Gucker lieber mit
den oberbayerischen Kriminalisten auf Mördersuche, statt sich am
Stammtisch des Brunnerwirts im BR-Fernsehdorf Lansing daheim zu
fühlen. Pardon: dahoam. Denn beim Brunnerwirt, da wird „boarisch
gredt“. Doch der Brunnerwirt beziehungsweise sein Darsteller Wilhelm
Manske wäre ein schlechtes Aushängeschild für „Dahoam is Dahoam“
(„DiD“), die erste tägliche Serie eines Landessenders, würde er nach
seinem Trauerseufzer nicht unverzüglich mit bayerischer
Unerschütterlichkeit feststellen: „Aber mei, der Dienstag geht halt
auch vorbei.“
Die Quote übersteigt die frühen
Hoffnungen
Sobald die Rosenheimer ihre Leichen aus dem Keller geholt haben,
hüpft auch die Quote für die Lansinger aus eben diesem. Hatten zum
Serienstart Anfang Oktober bayernweit 0,68 Millionen Menschen
eingeschaltet (17,7 Prozent Marktanteil), so schauten
laut Soap-Check von „quotenmeter.de“ Mitte Januar 0,72 Millionen
Menschen zu. Mit durchschnittlich 12 bis 13 Prozent bayernweit läge
die Quote über den ursprünglichen Hoffnungen, sagt Manske. Das
gibt dem von federführenden „DiD“-Redakteuren in Interviews gern
beschworenen „Geist von Lansing“ weiteren Auftrieb. „Er schwebt hier
jeden Tag über uns“, sagt augenzwinkernd Markus Schmidt-Märkl,
Executive Producer, einer von mehreren Regisseuren und kreativer
Kopf von „Dahoam is Dahoam“. Mit rund 600 Folgen, die er bisher für
tägliche Serien produziert hat, gehört Schmidt-Märkl zu den
erfahrensten Daily-Regisseuren Deutschlands und hat mit
Geisterbeschwörung eher weniger zu tun. Dennoch ist er überzeugt, es
gebe da etwas, eine „ganz besondere Aufbruchstimmung“, die alle an
der Produktion Beteiligten in kurzer Zeit zusammengeschweißt und zu
„großer Mitarbeit“getrieben habe. Es ist wohl die Stimmung, die
von der Chefin des BR-Programmbereichs Spiel-Film-Serie, Bettina
Reitz, als „neue Lust am bayerischen Erzählen“ charakterisiert wird.
Diese neue Lust, gepaart mit den „wunderbaren Vorbildern guter
bayerischer Serien“, habe viele in der Fernsehbranche beflügelt.
„Sie geben uns ihre hochwertige kreative Unterstützung, weil sie
daran glauben, dass wir mit ,Dahoam is Dahoam‘ etwas ganz Besonderes
machen“, sagt Bettina Reitz. Sie muss wissen, was „besonders“ ist in
der Welt der bewegten Bilder. Immerhin ist ihr Name eng mit „großem
Fernsehen“ und auch dem Kino verbunden, zum Beispiel mit dem
Oscar-gekrönten Film „Das Leben der Anderen“ oder der
Marcus-H.-Rosenmüller-Komödie „Wer früher stirbt, ist länger tot“.
Von Reitz betreute und im Programmbereich verantwortete Filme haben
zahlreiche, auch internationale, Preise gewonnen. Bei der Verleihung
des Bayerischen Filmpreises räumten sie gleich reihenweise ab. Und
Regisseur Pepe Danquart nutzte die Gelegenheit, den Bayern für ihre
Mundart zu danken. Auch er, ebenfalls Oscar-Preisträger, vom
bajuwarischen Geist beseelt? Womit wir wieder dahoam wären. In
Lansing. In dem fiktiven Dorf, nur eine halbe Stunde vom
Bussi-Bussi-Business der Landeshauptstadt entfernt, leben sie, die
Brunners und die Kirchleitners, die Ertls und die Preissingers, der
Polizist und der Bürgermeister, der Stallknecht, die
Dirndlschneiderin und der Apotheker - und nicht zuletzt der Pfarrer,
mit dem die Kirche im Dorf bleibt und die Moral bei seinen
Schäfchen. Weshalb die junge Annalena Brunner vor 17 Jahren nach
Frankfurt auswanderte, als sie ungewollt schwanger wurde und mit der
„Sünd’“ nicht länger im Dorf leben wollte - und die Geschichte und
Geschichten aus Lansing ihren Lauf nahmen. Und dennoch ist „Dahoam
is Dahoam“ weitab von üblichen Klischees angesiedelt. Lansing ist
ein modernes Dorf, in dem die Jugend Jazz hört und die Landfrauen
dem Bürgermeister in die Parade fahren.
Auch Passauer müssen Oberbairisch lernen
Dass sich der Zuschauer in Lansing schnell dahoam fühlt, ist auch
ein Verdienst der Darsteller. „Wir haben nicht nur tolle Gesichter,
wir haben richtig, richtig gute Schauspieler“, sagt die
redaktionelle Leiterin Caren Toennissen. Neben „spannenden
Neuentdeckungen“ finden sich auf der Besetzungsliste eine ganze
Reihe renommierter Namen wie Horst Kummeth („Café Meineid“, „Der
Bulle von Tölz“, „Rosenheim Cops“), Michael Grimm („Schwere Jungs“),
Heidrun Gärtner („Der Schattenmann“), Werner Rom („Löwengrube“) und
eben Wilhelm Manske („Verliebt in Berlin“). Von so viel Erfahrung
profitieren natürlich die Jungen, zu denen auch der 23-jährige
Martin Wenzl aus Vornbach (Landkreis Passau) gehört. „Horst Kummeth
ist eine Granate, genau wie Michael Grimm, mein Serienvater“, sagt
Wenzl, der Ludwig Brunner, den Enkel des Brunnerwirts, spielt. Dass
die Mehrzahl seiner Kollegen aus Bayern kommt, mache die Arbeit so
angenehm: „Wir sind ein kulturell homogenes Team. Man versteht sich
ohne viele Worte, das läuft alles ganz bodenständig.“ „Es gibt
eine typisch bayerische Art, ein Problem zu lösen oder darüber zu
sprechen“, bestätigt Gesine Hirsch, Kopf der über 30 Autoren, die an
„DiD“ schreiben. Sie alle kommen aus Bayern, denn auch die
Drehbuch-Dialoge werden ausschließlich auf Bairisch geschrieben. Bei
den Schauspielern war dies nicht zwingend notwendig, ihnen stehen
beim Dreh drei Sprachtrainer zur Verfügung, um die Ober- und
Niederbayern, die Franken, Österreicher oder gar Kölner auf die für
Lansing auserkorene „oberbayerische“ Mundart einzustimmen. „Das hat
mir besonders zu Anfang geholfen“, sagt Wilhelm Manske, der, obwohl
gebürtiger Passauer und „auch da groß geworden“, durch seine
deutschlandweiten Engagements seinen Dialekt möglichst schnell
abschleifen musste. „Konsequent wäre es gewesen“, schmunzelt der
56-Jährige, „hätte man für Lansing gleich einen eigenen Dialekt
erfunden.“ Nach Meinung mancher „DiD“-Kritiker ist genau das trotz
aller Anstrengungen auch passiert. Das insgesamt 130-köpfige Team
produziert pro Woche fünf Sendefolgen à 28 Minuten. Den Ton geben
dabei gleich mehrere Regisseure an. Normalerweise übernimmt ein
Regisseur fünf Folgen. Ausnahme: der gebürtige Kötztinger Thomas
Stammberger. Der langjährige Regisseur der Burgfestspiele Neunußberg
(Landkreis Regen) überzeugte den BR bei seiner ersten eigenständigen
Fernsehregie mit „Servus Lansing“ so klar, dass er gleich zehn
Folgen übernehmen durfte. Der Dreh ist der Ausstrahlungszeit
(montags bis donnerstags 19.45 bis 20.15 Uhr) um sechs bis sieben
Wochen voraus. „Wir Schauspieler haben die Bücher bis Folge 100“,
erzählt Wilhelm Manske, „derzeit drehen wir die Folgen 80 bis 85.“
Die Zuschauer können am Montag zum 56. Mal mit den acht Familien in
Lansing lieben, lachen und leiden. Geprobt und gefilmt wird an fünf
Tagen pro Woche, manchmal auch samstags, in Dachau auf dem Gelände
einer ehemaligen Feinpappenfabrik. Hier entstand in der Rekordzeit
von nur zweieinhalb Monaten das Dorf Lansing mit allem, was zum
bayerischen Alltag gehört: Marktplatz, Maibaum, Kirche, Apotheke,
Autowerkstatt, Tankstelle und eben jener das Dorf beherrschende
Gasthof „Brunnerwirt“. Vor, hinter und um Gastwirt Joseph Brunners
Theke spielt sich ab, was die Lansinger umtreibt: Mit der Rückkehr
der Brunner-Tochter samt ihrem „ledigen Kind“, dessen Vater (noch)
ungeoutet in Lansing lebt, wird in der seit Jahrzehnten schwelenden
Feindseligkeit zwischen den beiden tonangebenden Familien Brunner
und Kirchleitner wieder zünftig gezündelt. Genügend Gelegenheiten
zum Gschaftln, Grantln, Gaunern - und zum Gaudi machen. Da werden
Schätze gesucht, Enkel verkuppelt, Mesnerlehrgänge besucht,
Grundstücke verschachert - und seit Neuestem sogar gebusselt. Was
sich in der gesetzteren Generation in Gestalt von
Brauereibesitzerstochter Rosi und Gasthofmatriarchinsohn Joseph beim
strammen Walken anbahnt und bei Enkel Ludwig Brunner und seinem
Zuckerschneckerl
Lieben und Leiden für jede Generation
Caro Ertl mit Händchenhalten beginnt, nimmt bei den im vollen Saft
stehenden Mittdreißigern bis -vierzigern wie Dirndlschneiderin Burgl
und Apotheker Bamberger auf der Kosmetikpritsche schon recht
handfeste Formen an. Ob alt oder jung, es erwischt halt jeden mal in
Lansing - auch das ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur
bundesweiten Serienkonkurrenz. „Alle Generationen werden gleich
bedient“, sagt „Brunnerwirt“ Wilhelm Manske. „Wir erzählen ganz
normale Familiengeschichten ohne das Chi-Chi der Superschönen und
Superreichen, das man sonst so häufig zu sehen bekommt.“ Damit sei
die Zielgruppe von Anfang an eindeutig eine andere als die
werberelevanten 14-bis 49-Jährigen gewesen. Man fahre bei den
deutlich über 50-Jährigen die meisten Punkte ein. „Das Publikum des
BR ist zweifellos lebenserfahrener als beispielsweise das von Pro7“,
drückt es Programmchefin Bettina Reitz elegant aus. „Das schenkt uns
bei ,DiD‘ eine größere Freiheit.“ Doch egal, was die Bewohner aus
Lansing während der angedachten 200 Episoden erlieben und erleiden,
sie sollen es mit einem Augenzwinkern tun - so, als hätten sie auch
im letzten Hemd noch ein Ass im Ärmel. Sie sollen die Balance halten
auf dem in Bayern so dünnen Seil zwischen Wir-Gefühl und
Spezlwirtschaft, sollen bayerisches Selbstbewusstsein transportieren
- am liebsten bis in den entferntesten Fernsehsessel in Flensburg.
„Unsere Geschichten sind so authentisch“, ist leitende Redakteurin
Toennissen überzeugt, „dass ,DiD‘ allemal das Zeug hat, auch
bundesweit zu funktionieren.“ Da kann sich der Geist von Lansing
schon mal auf weite Flüge gefasst machen.
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