Eine Kabarett-Collage
"Mir fällt immer wieder die Zeitlosigkeit der Figuren auf", sagt Zimmerschied. "Über die werden Urzustände geschildert – und das holt mich beim Spielen immer wieder ein. Es passiert mir wie früher, dass ich phasenweise einer Figur näher bin und einer weniger nahe. Manche Stimmungen erscheinen mir in der Distanz heute fremd. Was ich aber heute intensiver erlebe bei meinen Programmen sind jene Passagen, die gar nicht so laut sind, eher mit Stille, mit Sprechgesang arbeiten und ins Schauspielerische gehen. Das einzige, was mir manchmal bei den alten Figuren etwas fremd wird, das ist die wiederbelebte Aggression."
Sigi Zimmerschied kombiniert Texte quer durch die Jahrzehnte, die miteinander streiten, sich widerlegen, weitertreiben, auflösen.
Sigi Zimmerschieds unaufhaltsamer Aufstieg zu einem der artikuliertesten und kompromisslosesten Kabarettisten des deutschen Sprachraums begann bereits Mitte der 1970er Jahre. Damals führte er gemeinsam mit Bruno Jonas in Passau die "Himmelskonferenz" auf, ein göttliches Treffen, das den beiden jungen Kabarettisten gleich einmal ein Ermittlungsverfahren wegen Gotteslästerung eintrug. Nach einem halben Jahr wurden die Nachforschungen eingestellt.
In seinen darauffolgenden Soloprogrammen bearbeitete Sigi Zimmerschied recht ausführlich den niederbayerischen Mikrokosmos mit all seinen Tücken, Zwängen und Fallstricken. Die Erlebnisse aus seinem Alltag, in dem er den Widerspruch niemals scheute, hat Sigi Zimmerschied immer wieder in seinen Programmen festgehalten.
Verewigt wurden darin auch die selbsternannten Hüter von Gesetz und Moral wie beispielsweise jene Passauer Drucker, die dereinst Zimmerschieds satirische Zeitschrift namens "Hirtenbrief" zur Drucklegung bekamen und mit dem Zitat "... hier im Passau können wir sowas nicht drucken, wir haben gerade die Osterbeichtzettel in der Maschine..." in dem Programm des Kabarettisten verewigt wurden.
"Betondeppen", "Ihobs", "Diddihasi", "Passauereien", "Scheißhaussepp", "Hirnrisse", "Danemlem" – das sind nur einige Titel jener Programme, die Sigi Zimmerschied in den vergangenen Jahrzehnten auf die Kabarettbühne gebracht hat. Wenn der bayerische Kabarettist seine Zeitgeister heraufbeschwört, dann kommen sie aber nicht nur aus dem Kleinkunstrepertoire, sondern auch von der Leinwand, denn die Figuren, die Zimmerschied für seinen Film "Schartl" kreiert hat, dürfen bei dieser Werkschau nicht fehlen. So erlebt man ihn beispielsweise in seiner Glanzrolle - als domestizierten Beamten, der am Abend von Schlafzimmer zu Schlafzimmer irrt, weil er in dem Meer von gleich aussehenden Reihenhäusern sein eigenes Heim nicht mehr finden kann.
Ein Klassiker aus den Zimmerschied-Programmen war auch das stets zwiespältige Verhältnis zu Passau. In diesem Fall haben ihm die 35 Dienstjahre im Kabarett eine gewisse Distanz zu seiner Heimatstadt verschafft.
"Passau, das war einmal ein Topos, über den man etwas formuliert und berichtet hat", so Zimmerschied. "Diese Welt ist für mich jetzt ausgeschöpft. Es ist ein Zustand erreicht, wo ich einfach nur mehr dort lebe und mein Territorium erobert habe. Und es war ja auch nichts anderes als ein kabarettistischer Akt der Notwehr, dass man nicht erdrückt wird. Ich wollte in Passau leben, und zwar wie ich es mir vorstelle und das wollte ich mir erkämpfen. Es wäre ja fast manisch oder grotesk, wenn man ein Feindbild, das man einmal erfolgreich bekämpft hat, dann ein Leben lang hinter sich herzieht. Egal wird das Thema zwar nicht; es ist ja kein Frieden für ewig. Nur das ist nicht mehr mein einziges kabarettistischen Transportmittel."
"Die möglichen Verführbarkeiten des Kabarettisten" - auch dieses Thema beschäftigt Sigi Zimmerschied schon seit vielen Jahren. Die Satire und ihre aktuellen Vertreter, sowie deren künstlerisches Werden und Wollen hat der Passauer auf der Bühne und im Film immer wieder aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet. Zimmerschied stellt die rhetorische Frage, warum er nicht so verständlich wie Comedy-Kollege Mario Barth sein kann.
"Wir, die wir in der Gnade des Dialekts aufgewachsen sind, sind manchmal ein wenig arrogant. Wir können uns nicht vorstellen, dass es so arme Teufel gibt, für die ein überschaubarere Wortschatz und eine funktionierende Grammatik schon Sprache ist", lässt Zimmerschied seine Bühnenfigur zetern.
In seinen Programmen zeigt er auch gerne die Odyssee des satirischen Einzelkämpfers, der heroisch zu neuen Ufern aufbricht. Und er nimmt sich auch die Zeit, diesen Einzelkämpfer auf der Kleinkunstbühne etwas genauer zu beobachten - in all seinen Widersprüchen und mit all den ungesunden Reflexen, die das Leben im Rampenlicht mit sich bringen kann. Die Müdigkeit, der Verschleiß, die Korrumpierbarkeit - all diese potenziellen Gefahren, die dem Kleinkünstler im Laufe seines Bühnenlebens auflauern mögen, macht gerne Sigi Zimmerschied zum Grundthema seiner Abende.
Mit "Zeitgeister" ist Sigi Zimmerschied zweifellos eine Collage geglückt, bei der zum einen der Sinn des Kabaretts ganz grundsätzlich hinterfragt wird. Zum anderen gerät bei ihm aber auch so manche moralische Instanz ganz gewaltig in die Schräglage. Ohne zu denunzieren, aber mit einem untrüglichen Gespür für die menschlichen Abgründe, begibt sich der Passauer Satiriker mit den Figuren aus seiner künstlerischen Vergangenheit auf die Suche nach möglichen Antworten auf die Frage, was Kabarett sein kann und was es manchmal ist.
Contra, Sonntag, 4. Oktober 2009, 22:05 Uhr
Veranstaltungs-Tipps
Sigi Zimmerschied, "Zeitgeister", 7. Oktober 2009, Posthof Linz, 9. und 10. Oktober 2009, Kulisse Wien, 11. Oktober 2009, Orpheum Wien,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen an allen Veranstaltungsorten ermäßigten Eintritt.
Links
Sigi Zimmerschied
Posthof Linz
Kulisse
Orpheum
kabarett.at
kabarett.cc
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