Sedlaczek am Mittwoch
Blaue Kartoffeln sind am wertvollsten
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Robert Sedlaczek ist der Autor
zahlreicher Bücher über die Sprache, zum Beispiel:
"Das österreichische
Deutsch".
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Das Wort Grundbirne sollte nicht
ganz in Vergessenheit geraten. In vielen Regionen, etwa
in Tirol, Kärnten, der Steiermark und dem Burgenland,
ist es gleichwertig zu Erdäpfel.
Neulich habe ich interessante Leserpost bekommen.
Arnulf Sattler schickt mir eine Kopie aus dem Codex
alimentarius austriacus, also aus dem "Österreichischen
Lebensmittelbuch", und zwar aus dem Jahr 1931. Unter
"Wurzelgemüse" findet man Solanum tuberosum L.:
"Kartoffeln, Erdäpfel oder Grundbirnen sind die am Ende
unterirdischer Ausläufer entstehenden, stärkereichen
Knollen der aus dem westlichen Südamerika stammenden
Kartoffelpflanze."
Man beachte! Hier werden drei Begriffe angeführt:
Kartoffeln, Erdäpfel, Grundbirnen. Die heutige Debatte
"Kartoffeln versus Erdäpfel" greift also zu kurz.
Kartoffel war schon immer die amtliche Bezeichnung,
auch die botanische; es heißt Kartoffelpflanze und nicht
Erdäpfelpflanze. Und die Schädlinge heißen
Kartoffelkäfer, nicht Erdäpfelkäfer. Gleichzeitig dürfen
wir nicht übersehen, dass in der Alltagskommunikation
Erdäpfel und Grundbirnen dominiert haben.
Versetzen Sie sich in folgende Situation: Sie sind in
einem Gebiet aufgewachsen, wo Grundbirne der
Standardausdruck ist, sagen wir in Tirol, in Kärnten, in
der Steiermark oder im Burgenland. "Heut gibt’s Grumbirn
mit Schinken und Käse", sagt die Oma. "Fein! Grumbirn
hab ich gern!" Warum soll dann das Enkerl beim Greißler
Erdäpfel verlangen?
Und interessant! Damals, in den Dreißigerjahren, war
das Kartoffelangebot überaus vielfältig. Von der Form
her gab es kugelige, längliche und walzenförmige.
Außerdem waren nicht alle ockergelb, sie konnten auch
rosa, rot oder violettblau sein oder sogar schwarzblau.
Auch die Farbe des Fleisches hat variiert: reinweiß,
gelblichweiß, blassgelb bis sattgelb, sehr selten blau
geädert oder gänzlich dunkelblau.
Von dieser Vielfalt können wir heute nur träumen. Je
schärfer reglementiert wird, desto rascher landen wir
bei der perfekt dimensionierten Einheitskartoffel: Sie
kann mit geringem Aufwand maschinell geschält,
zerkleinert und zu Pommes Frites verarbeitet werden..
.
Also hat das Pendel heute in die andere Richtung
ausgeschlagen. In den Dreißigerjahren herrschte eine so
große Vielfalt, dass das Lebensmittelbuch "eine ziemlich
arge Verwirrung auf den Gemüsemärkten" konstatiert hat.
Deshalb werden im Codex "nur einige wenige besonders
bekannte Sorten" genannt.
Unter den gelbfleischigen Sorten wird zuallererst der
Praller erwähnt. Derartige aus dem Tullner Feld
stammende Kartoffeln nannte man auch Tullner
Rauhschalige. Von den Prallern kaum scharf zu trennen
waren die Romaner und die Hoffmann-Kartoffeln. Außerdem
erfahren wir, dass die langwalzlichen und gekrümmten
Kipfler oft der Juli-Perle ähnlich sahen, beide wurden
mitunter als Halbkipfler, Bastarde oder Mäusekartoffel
auf den Markt gebracht.
Die weißfleischigen Sorten trugen so schöne Namen wie
Schneeflocke, Frühe Rosen oder Jubel. Die
Wohltmann-Kartoffel war eine beliebte Spätkartoffel –
"eigentlich ,Professor Wohltmann‘", vermerkt der
Verfasser penibel. Die blaufleischigen Sorten hießen
Schwarzblaue Salatkartoffel, Negerkartoffel oder
Tannenzapfen. "Sie werden wegen der außergewöhnlichen
Fleischfarbe als Merkwürdigkeit zu Kartoffelsalat
verwendet und sind umso wertvoller, je dunkler und
gleichmäßiger die blaue Farbe des Fleisches ist."
Heute ist man schon froh, wenn im Supermarkt Kipfler
zu finden sind. Normalerweise wird nur zwischen
festkochenden Kartoffeln (= Salat-, Brat- und
Petersilerdäpfeln) und mehligkochenden Kartoffeln (=
Erdäpfel für Suppen, Püree, Teig) unterschieden.
Seltsam: Beim VW-Golf kann man zwischen Dutzenden
Varianten wählen, bei der Kartoffel gibt es nur
zwei!
Printausgabe vom Mittwoch,
07. Jänner 2009
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