Neutraubling - Als Bayern noch ein
katholisches Bauernland war, lautete ein
gängiger Spruch: "Wer einen anderen Menschen zum
Lachen bringt, erlöst eine arme Seele aus dem
Fegefeuer." Diese Überzeugung deckt sich
harmonisch mit Georg Lohmeiers Verweis auf jene
Benediktinerklöster, in deren
Rekreationsrefektorien (sprich: Bierstüberl) der
Abt einen eigenen Witzstuhl besaß, von dem aus
er Witze erzählte oder sich welche anhörte. Auf
einem solchen Stuhl hätte auch der Humanist
Josef Fendl bequem Platz gefunden, denn er hat
im Laufe seines Lebens mehr Menschen zum Lachen
gebracht als die meisten anderen. Den ehemaligen
Realschullehrer und Autor, der heute seinen 80.
Geburtstag feiert, jedoch als flachen Humoristen
und Sprücheklopfer abzutun, wäre weit
danebengegriffen. Fendl ist ein
Universalgelehrter vom alten Schlag, der
inzwischen mehr als sechzig Bücher herausgegeben
hat und als temperamentvoller Rezitator seiner
Werke bekannt ist, aber auch als veritabler
Historiker und Kreisheimatpfleger. Die Frage,
wie er das zeitlich geschafft habe, beantwortet
Fendl auf entwaffnende Art. Einer, der 30 Jahre
lang jeden Abend von 19 bis 22 Uhr in die Glotze
starre, habe zwar Tausende Morde und Hunderte
Bettszenen gesehen, aber diese 32 850 Stunden
doch weitgehend verplempert. "Genau in dieser
Zeit habe ich meine Bücher geschrieben."
Quelle der Volksweisheit
Die meisten seiner Werke werden noch lange
aufgeschlagen und zitiert werden, denn sie sind
eine unerschöpfliche Fundgrube für die
Ausformungen der bayerischen Mentalität. Unter
anderem hat Fendl eine riesige Sammlung an
Aphorismen und Spruchweisheiten
zusammengetragen, etwa von der folgenden Art:
"Schad, dass d"net dagwesn bist, wia mei Stadl
abbrennt is," hat dersell Bauer zum
Feuerschlucker im Zirkus gsagt, "da hättst di
vollfressn könna . . .!"
Als kleiner Einöd-Bub aus dem vorderen
Bayerischen Wald saß Fendl direkt an der Quelle.
Auf den Bauernhöfen wurden viele Sprüche
erzählt, variiert und erfunden. Heute geben sie
tiefe Einblicke in die Denkweise des einfachen
Volkes. "Vieles hab ich von meinem Vater
gehört", sagt Fendl. Und zwar zu einer Zeit, als
es das Elektrische noch nicht gab, als der Vater
noch Körbe gezäunt, Besen gebunden und
Holzschuhe gemacht hat. Es war eine kleine Welt,
die von Menschen wie seiner Tante geprägt wurde,
die im Leben nie weiter gekommen ist als ins 24
Kilometer entfernte Straubing. Auch Fendl
erkannte erst im fortgeschrittenen Bubenalter,
dass die Welt hinter Straubing noch weiterging.
Im Bayerischen Wald habe es damals dreierlei
Menschen gegeben, sagt Fendl: "Arme, Bettelleut
und solche die gar nichts hatten."
Später wurden ihm auch aus anderen Kanälen
Volkssprüche zugetragen, im Kreistag von
Regensburg etwa, dem er 30 Jahre lang angehörte,
und im Benediktinerkloster Metten. Viel gelernt
hat er auch von seinem Lehrer Hans Schlappinger
aus Reisbach, der ebenfalls ein großer
Sprachsezierer und Sammler war. Eine
Leidenschaft, die im Übrigen schon im alten
Athen en vogue gewesen sei, sagt Fendl, schon
dortmals seien Sprüche gesammelt worden, ebenso
im Italien der Renaissance, wo diese Sagwörter,
Kürzest-Geschichten und Mini-Schwänke einen
hohen Stellenwert besaßen. Verwunderlich ist
dies nicht, denn ihr Hintersinn ist oft
verblüffend: "Bist jetzt des Du gwesn oder Dei
Bruader, der wo gstorben is?" Solche Sätze
machen neugierig, ja sogar süchtig: "Ihre Sprüch"
lese ich noch vor den Todesanzeigen", sagte
einmal ein Leser zu Fendl, ein dickeres Lob ist
auf dem Land kaum denkbar.
Zeit minus Geist
Fendl hat viele Auszeichnungen erhalten,
unter anderem den Poetentaler der Münchner
Turmschreiber, das Bundesverdienstkreuz und den
Waldschmidt-Preis. Angespornt durch seine
humanistische Vorbildung, ergründete er die
Waidler-Seele wie kein anderer und setzte sie
sogar in den Kontext zu den alten griechischen
Philosophen. So manche Degeneration in Lebensart
und Brauchtum, kurz die Eventisierung der
Heimat, beobachtete er mit Argwohn und zog
daraus den Schluss: "Zeitgeist ist Zeit minus
Geist!".
Erst vor wenigen Wochen fand er heraus, dass
der Christbaum in Bayern viel früher bekannt war
als bisher angenommen. Im bischöflichen
Zentralarchiv in Regensburg war er unter einem
Stoß von Kirchenakten auf ein Papier aus dem
Jahr 1590 gestoßen, in dem ein Christbaum
erwähnt wird. Mit solchen Überraschungen wartet
Fendl immer wieder auf. In einem seiner letzten
Bücher beschäftigt er sich mit dem Tod und der
rätselhaften Tatsache, dass ihm die Bayern nicht
selten mit Humor begegnen. Zum Beleg führt er
allerlei kuriose Grabsprüche wie den folgenden
an: "Hier ruht die Barbara Lentner, / sie wog
dritthalb Zentner; / Gott geb ihr in der
Ewigkeit / nach ihrem Gewicht die Seligkeit!"
In seinem vorerst letzten Werk ("Gell, da
schaugst . . ,!") erörtert Fendl folgerichtig
den Zwiespalt der weiß-blauen Seele, indem er
das Widersprüchliche im Charakter der Bayern
herausarbeitet, jene coincidentia oppositorum
(Vereinigung der Gegensätze), die sich wie ein
roter Faden durch die bayerische Geschichte
zieht. Fendl pflegt dabei ein Faible für die
Mundart, der er wesentliche Vorzüge gegenüber
der hochdeutschen Sprache zuweist: Kürze,
Prägnanz sowie eine ungeheure Farbigkeit. In der
Kürze liegt daher auch oft die Würze der
Fendl"schen Prosa: "Bayerisch", hat der Bauer
g"sagt, "is a schwaare Sprach. Sagn tuat mer
Ha?" und schreibn tuat mer: Wie bitte?"" |