Die anderen Lehrer haben mich verstanden

Zehn Jahre nach dem Zeugnis-Skandal

„Die anderen Lehrer haben mich verstanden“

121.08.09|Bayern|26 KommentareFacebook
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Otterfing - Vor zehn Jahren sorgte der Fall Florian für Schlagzeilen: In seinem Zeugnis wurde der damals Achtjährige aus Otterfing (Kreis Miesbach) wegen seines Bairisch kritisiert. Wir wollten wissen: Wie ist es dem Buben seitdem ergangen?

Es scheint, als ob die Lederhose mitgewachsen ist: Florian als kleiner Bub und heute mit dem Zeugnis in der Hand, das damals für so viel Aufregung gesorgt hat. Sein Bairisch hat sich der heute 19-Jährige, der in seinem Heimatort Otterfing Mitglied unter anderem beim Burschen-, Schützen- und Trachtenverein sowie der Feuerwehr ist, natürlich nicht abgewöhnt.

© Andreas Leder/dpa

Es scheint, als ob die Lederhose mitgewachsen ist: Florian als kleiner Bub und heute mit dem Zeugnis in der Hand, das damals für so viel Aufregung gesorgt hat. Sein Bairisch hat sich der heute 19-Jährige, der in seinem Heimatort Otterfing Mitglied unter anderem beim Burschen-, Schützen- und Trachtenverein sowie der Feuerwehr ist, natürlich nicht abgewöhnt.

Kürzlich ist Florian zufällig der alte Ordner in die Hand gefallen. Schlagzeile in der Bild-Zeitung, großer Artikel im Focus – die gesammelten Artikel im Ordner belegen, dass der kleine, blonde Bub von damals eine deutschlandweite Berühmtheit war. „Ich war aber noch zu klein, als dass ich das alles mitbekommen hätt’“, sagt Florian.

Er ist kein Mann vieler Worte, das war damals schon so. Als „ruhigen, zurückhaltenden Schüler“ hatte ihn seine Zweitklass-Lehrerin beschrieben, aber besonnen und zielstrebig. Das Lesen längerer Worte bereite ihm noch Schwierigkeiten, hieß es. Und mittendrin in den knapp 25 Zeugniszeilen stand jener Satz, der für Sprengkraft sorgen sollte: „Florian hat Probleme, sich verständlich auszudrücken, da er zu Hause nur bayerisch redet.“

Hans Triebel vom Förderverein Bairische Sprache und Dialekte bekam die Sache mit und machte sie öffentlich, und danach klingelte das Telefon bei Florians Familie nahezu im Minutentakt. Kultusministerin Monika Hohlmeier ( CSU ) höchstpersönlich setzte durch, dass der Eintrag aus dem Zeugnis gestrichen wird: „Die Grundschule hat den Auftrag, Mundart zu fördern. Es ist bedenklich, wenn Schüler im Einzelfall für ihren Dialekt kritisiert werden.“

Ganze Seiten mit Leserbriefen erschienen unter anderem in dieser Zeitung. Florian bekam in den Tagen danach dutzende Briefe und Postkarten zugeschickt, mit zum Teil rührenden Äußerungen. „Ich wär froh, wenn du bei mir in d’Schul gehen tätst“, schrieb ein Hauptschullehrer aus München , „ich bin immer der einzige, der bairisch redt.“ Oder ein anderer Brief, der ankam, obwohl er ohne Angabe von Familienname und Straße nur adressiert war an „die Familie von Florian, Boarischer Bua“.

Die Lehrerin, die nicht aus Bayern stammte, hatte danach eine schwere Zeit in dem Dorf. Weil Florian nach der zweiten Klasse ohnehin einen anderen Lehrer bekam, hat er danach nicht mehr mit ihr geredet. Eine Erklärung oder Aussprache? Hat es nie gegeben. Die Lehrerin hat Florian schon lange nicht mehr gesehen, „ich weiß nicht, ob die noch hier wohnt“.

Hans Triebel kann sich noch gut an den Fall erinnern. „Es hat ja keiner geglaubt, dass es bei uns auf dem Land auch schon so weit ist. Dabei ist es doch so, dass, wer boarisch redet, in Deutsch gute Noten hat.“ Peter Gauweiler , damals CSU -Landtagsabgeordneter, forderte vom Landtag einen Bericht zur „Rettung der bayerischen Sprache“. Als Hohlmeier dem Anfang 2001 nachkam, hieß es, der Dialekt sei im Freistaat keine Sprachform zweiter Klasse. Auch an den Schulen werde das Thema vielfältig und kreativ umgesetzt, eigentlich sei alles in bester Ordnung.

Triebel, der Hohlmeier damals zehntausende Unterschriften zum Erhalt der bairischen Mundart überreicht hatte, ist da anderer Meinung. „Leider ist nicht viel dabei herausgekommen“, sagt er heute. Wobei: Dass Hohlmeier ein Dialektbuch für Lehrer hat erstellen lassen, rechnet er ihr heute noch hoch an. „Nur müssten es die Lehrer halt auch öfter benutzen.“

Diese Dialekt-Diskussionen hat Florian nur am Rande mitbekommen. Wobei, wenn es ums Bairische geht, wird er richtig gesprächig. „Probleme mit meinem Dialekt hat es danach nie wieder gegeben. Die Lehrer haben mich schon verstanden“, oder, fügt er verschmitz hinzu „verstehen müssen“. Denn das Bairische austreiben, das wäre nie in Frage gekommen. „Warum auch? Die aus dem Osten haben ihren Dialekt und reden doch auch so, wie sie es gelernt haben.“ Er sei zufrieden mit dem, was er erreicht habe: „Ich wollte nie auf die Realschule oder das Gymnasium.“ Florian hat die Hauptschule mit dem Quali abgeschlossen und eine Maurerlehre absolviert, die er vor einigen Tagen fast zeitgleich mit seinem 19. Geburtstag beendet hat. Und jetzt will er noch auf die Landwirtschaftsschule gehen, vielleicht wird er irgendwann den Bauernhof der Eltern übernehmen. „Was ich schaffen wollte, hab’ ich geschafft“, sagt Florian. Mit Bairisch.

von Boris Forstner

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