Der Sage nach leben dort die Aguanes und waschen Leinen. Als Greisinnen tauchen sie auf, und als Dämoninnen. Sie tun denen Gutes, die ihnen Gutes wollen. Dass sie singen, hat man bisher nie gehört. Aber zu schön ist die Geschichte, um sie nicht bei passender Gelegenheit zu nutzen. Maria Moling und die Schuen-Schwestern kennen diese Geschichten. Und so kamen sie auf den Namen, unter denen die drei ihr erstes Album veröffentlicht haben. Ganes nennen sie sich.
Und „Rai de Sorëdl“ ist der Titel des Werks. Das verstehen ohne Übersetzung jene 30.000 Menschen, die in ein paar Dolomitentälern Südtirols leben und noch ladinisch sprechen. Von dort, aus dem kleinen, in die Berge gepickten Dorf La Val, stammen die drei Musikerinnen. Und weil sie in Ladnisch träumen und reden, wenn sie beisammen sind, singen sie auch so. Und weil sie sich anmerken lassen, dass ihnen Klänge zu Herzen gehen und auch von dort kommen, braucht es keine Übersetzung.
Was sich nun anhört wie die reinste Voraussetzung für ein alpenländisches Familienfest schunkelnder Volkstümlichkeit stellt sich nach wenigen Takten als wohlklingende, fast schon kitschige, aber niemals banale Mischung heraus. Weltoffenen begegnet eine eigentümliche, herrliche melodiöse Sprache mit den Windungen des Jazz, treibt auf leicht plätscherndem Pop und dringt in tiefe Winkel der Seele vor. Bisweilen nimmt der Wohlklang Überhand, und man wünschte ein paar falsche Töne, ein paar Stromschnellen im braven Soundfluss.
Immer aber wenn Moling und die Schuens ihre Stimmen bewegen, wenn sie sich in ihren unentzifferbaren Heimatsprachcode verlieren, gerät jede allzu große Feinheit, jedes Überarrangement in den Hintergrund. Wie Zaubersprüche flirren mystische Worte dann daher. Ein Mal klingt es nach Klage, dann wieder wie das süßeste Schlaflied oder eine von hemmungslosen Tränen begleitete Einsamkeit. Das Schöne dabei: Bei jedem der vierzehn Lieder bleibt ein Geheimnis, dem man nachsinnieren will.
Ganes sind die aktuellste Attraktion des Verlags Blankomusik in München. Chef ist dort Hage Hein. Und der begleitet seit 20 Jahren Hubert von Goisern durch die Welt. Damit war der Kontakt geknüpft, denn Moling und die Schuen-Schwestern haben in den vergangenen Jahren – neben eigenen Projekten – für Hubert von Goisern musiziert. Marlene Schuen, die in München lebt, gehört seit Jahren zu seiner Band, die beiden anderen – Moling in Klagenfurt und Elisabeth Schuen mit Wohnort Salzburg – heuerten für die LinzEuropaTournee an, bei der 2007 bis 2009 Europa von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer auf Flüssen durchquert wurde.
Im Bauch des Schiffs, der als Proberaum diente, begannen die drei Ladinerinnen – alle haben sie Musik studiert – ihr Projekt zu entwerfen. Und ihre Musik, soulig, jazzig und luftig-poppig, zielt wieder auf Bauch und Seele. „Wir hatten viel Zeit, also sangen wir oft“, sagt Marlene Schuen den SN.
Ach ja, damit das Wissen nicht allein den Ladinern vorbehalten bleibt: „Rai
de Sorëdl“ heißt „Sonnenstrahl“. Denn Ganes erfüllen selbst in traurigen
Momenten ein Versprechen der Popmusik: Wärme durch Umarmung.
Heute, Mittwoch, 2. Juni, singen Ganes im
Jazzit, Salzburg. CD „Rai de Sorëdl“: Blankomusik/Sony.