Sedlaczek am Mittwoch
Ein Mundartkurs mit Armin Assinger
Von Robert
Sedlaczek
Manche Wörter tragen im Rucksack eine lange
Geschichte mit sich herum.
Hier stehen einige Ausdrücke auf dem
Prüfstand, die wir in Skiübertragungen hören.
Mein Freund Hans ist ein Wiener, und die Wiener lieben ja
bekanntermaßen die Kärntner ganz besonders – aber halt nur heimlich.
Deshalb hört sich Hans so gern die Sportübertragungen mit Armin Assinger
an. Wenn Armin kärntnerisch redet, gerät Hans in Verzückung. "Hast du
gehört, was er am Montag gesagt hat? ‚Seine Ski ham gschlankelt, des hat
vü Zeit kost.‘" Und Hans hat gleich übersetzt: "Das wird wohl bedeuten,
dass die Skier geflattert haben."
Obwohl Hans manche Ausdrücke nicht kennt, kann er sie doch immer
richtig interpretieren. Das beweist wieder einmal, dass man nicht jedes
Wort kennen muss, um eine Botschaft zu verstehen. Außerdem kann Hans
mehrere Sprachen, darunter auch so entlegene wie das Arabische. Zwar nur
passiv, aber immerhin. Und obwohl ihm die Zeugen Jehovas suspekt sind,
bestellt er sich regelmäßig den "Wachtturm" – in verschiedenen Sprachen.
Die Übersetzungen sind perfekt gemacht, und es steht ja überall dasselbe
drinnen: Wort für Wort. Ein idealer Lesestoff zur Erlernung von
Sprachen.
"Dann ist beim Ziel der Nebel eingefallen und der Assinger hat gesagt:
,Des is a letze Sicht da unten!‘ Das Wort letz wird wohl so viel wie
schlecht bedeuten." – "Genau", sage ich, "man verwendet es nicht nur in
Kärnten, sondern auch in anderen Bundesländern und in Bayern. Nur bei uns
in der Großstadt sind solche Wörter verloren gegangen."
"Eigentlich schade. Ich bin auch immer ganz begeistert, wenn er sagt:
,Jetzt hat es ihn aber gefeigelt.‘ In diesem Fall kann ich dir auch die
Herkunft erklären." – "Wirklich? Na dann schieß los!"
Hans hat mir dann erzählt, dass das Wort mit der Geste "eine Feige
machen" zusammenhängt. Albrecht Dürer hat diese obszöne Geste
eindrucksvoll dargestellt, die Zeichnung ist im Besitz der Albertina. Aus
der geballten Faust wird der Daumen herausgestreckt, eingeklemmt zwischen
Zeigefinger und Mittelfinger. Das symbolisiert die Vereinigung von Vulva
und Penis – eine aggressive Geste, die sich schon im Mittelalter von
Italien aus in alle Länder Europas ausgebreitet hat. Sie ist fast so
schlimm wie das Götz-Zitat – wenn nicht noch schlimmer. Auch in slawischen
Ländern hat sie eine lange Tradition.
Daneben dient die Faust mit dem herausgestreckten Daumen auch dazu,
böse Geister oder Unbilden aller Art abzuwehren. In diesem Fall macht man
die Feige still und heimlich im Hosensack. Auch die Übel abwehrende
Variante der Feigengeste ist in vielen Ländern gang und gäbe.
"Hans, ich bin beeindruckt. Jetzt ist mir auch klar, wie der Ausdruck
,Ja, Feigen!‘ entstanden ist. Dieser Zuruf drückt ja Verhöhnung oder
Ablehnung aus. Dazu passt auch eine Variante, die ich vor kurzem in einer
U-Bahn-Station gehört habe. Ein paar Jugendliche sind die Stiegen
hinuntergestürmt, aber die Türen wurden gerade geschlossen. Da hat ein
Mädchen gerufen: ,Ja, Fut, jetzt fahrt uns die U-Bahn vor der Nasen
davon!‘" Es war wirklich ein Mädchen, der Kleidung nach zu schließen sogar
aus gutem Haus.
Wir haben uns dann noch eingehend über das Wort feigeln unterhalten und
Situationen konstruiert, in denen es passen würde. Der Motor feigelt – das
kann man sagen, wenn ein Zylinder streikt. Es feigelt – das heißt soviel
wie: es klappt nicht.
Und wenn ich sage, es feigelt mich, dann bin ich in Schwierigkeiten –
ähnlich wie ein Abfahrtsläufer, dem es bei letzer Sicht die Ski
verschlägt.
* Robert Sedlaczek ist der Autor zahlreicher Bücher über die
Sprache, zum Beispiel: "Das österreichische Deutsch". *
Printausgabe vom Mittwoch, 16. Februar
2011
Online seit: Dienstag, 15. Februar 2011 18:12:14