Ausschnitt aus
Robert Sedlaczek
Das österreichische
Deutsch!
Was
wir von unserem großen Nachbarn unterscheiden
Hier werden die Unterschiede zwischen dem
österreichischen Deutsch und dem deutschem Deutsch in aller Kürze zusammengefaßt. Eine ausführliche Darstellung finden
Sie in den jeweiligen Kapiteln des Buches.
Das österreichische
Deutsch unterscheidet sich vom deutschen Deutsch vor allem im Wortschatz. Beispiele für
unterschiedliche Begriffe finden sich am Ende dieser Seite. Meist können
die Ausdrücke des deutschen Deutsch problemlos durch Ausdrücke des
österreichischen Deutsch ersetzt werden.
Daneben gibt
es auch gravierende Unterschiede in der Grammatik. So werden beispielsweise
das Präteritum und das Plusquamperfekt seit dem 16./17. Jahrhundert in
Österreich und im Süden Deutschlands nur noch in der schriftlichen Form
verwendet. Beim mündlichen Erzählen wird an Stelle des Präteritums das
Perfekt gebraucht. Dadurch sind neue Zeitformen entstanden, die unsere
Sprache bereichert haben: z. B. das Doppelte Perfekt. (Mehr dazu ebenfalls am Ende dieser Seite.)
Unterschiede
in der Schreibung auf Grund unterschiedlicher Aussprache!
·
Ö: Buffet (französische Aussprache mit stummem t), D: Büfett
(eingedeutscht mit ausgesprochenem t)
·
Ö: Kücken (gesprochen mit kurzem Vokal),
D: Küken (gesprochen mit langem Vokal)
·
Ö meist: Spaß (gesprochen mit langem Vokal), D auch: Spass (gesprochen mit kurzem Vokal)
·
In Österreich verwendet man an Stelle von „Geschoß“ eher „Stock(-werk)“, an Stelle von „zweigeschoßig“,
„dreigeschoßig“ eher „zweistöckig“,
„dreistöckig“.
Wenn in Österreich das Wort „Geschoß“ (sowohl im Sinn von „Stockwerk“ als
auch im Sinn von „Projektil“) verwendet wird, dann wird es eher mit langem
Vokal gesprochen und eher mit ß geschrieben, in Deutschland eher mit kurzem
Vokal und daher mit ss geschrieben.
·
In Österreich herrscht die Tendenz, den Vokal in einsilbigen
Wörtern zu dehnen. In einigen Regionen Deutschlands werden hingegen
umgangssprachlich die Einsilber verkürzt (z. B. „Bad“ mit kurzem a).
Auf die Umlaute nicht vergessen!
·
Ö: zweifärbig D:
zweifarbig
·
Ö: bleihältig D:
bleihaltig
·
Ö: ¼-zöllig D:
¼-zollig
·
Ö: 5-grädig (bei Bier) D:
5-gradig
·
Ö: die Bögen, die Krägen D:
die Bogen, die Kragen
·
Ö: die Generäle, die Admiräle D:
die Generale, die Admirale
·
Ö: nützen, benützen, Benützeroberfläche
etc. D nutzen, benutzen,
Benutzeroberfläche etc.
·
Aber Achtung, es gibt Ausnahmen!
o D: Krämer Ö:
Kramer (oder Greißler)
o D: Lüster (Kronleuchter) Ö: Luster
o In der Umgangssprache
wird aber das Prinzip der „Umlauthinderung“ wirksam:
Wir schreiben zwar „hüpfen“, sagen aber „hupfen“.
Im
Zweifelsfall das sächliche Geschlecht (vor allem bei Lehnwörtern)!
·
Ö: das Cola D:
die Cola
·
Ö: das Offert D:
die Offerte
·
Ö: das Service (= Bedienung, Kundenservice) D: der Service
·
Ö: das E-Mail D:
die E-Mail
·
Ö: das SMS D:
die SMS
·
Ö: das Masters (im Sport) D
auch: die Masters
·
Ö: das Radar D
auch: der Radar
·
Ö: das Sakko D:
der Sakko (oft auch Jackett)
·
Ö immer: das Kondom D
auch: der Kondom
·
Ö meist: das Prospekt D:
der Prospekt
·
Ö immer: das Sandwich D
auch: der Sandwich
·
Ö: das Podest D
auch: der Podest
·
Aber Achtung, es gibt Ausnahmen!
o Ö meist: der Gehalt
(Lohnzahlung) D nur:
das Gehalt
Meist steht in Österreich „herum“ statt „umher“!
In Deutschland
unterscheidet man zwischen „umher“ (= kreuz und quer) und „herum“ (= im
Kreise, ringsum).
·
Ö: Wir sind in der Stadt lange herumgefahren,
bis wir das Kino gefunden haben.
§ D: Wir sind lange umhergefahren, bis wir das Kino gefunden habe.
Dem ausgefallenen
Endungs-E bei Substantiven und Adjektiven keine Träne nachweinen!
·
Ö: die Tür D:
die Türe
·
Ö: der Ochs D:
der Ochse
·
Ö: feig D:
feige
·
Ö: stupid D:
stupide etc.
·
Der Ausfall des e am
Wortende ist typisch für das österreichische Deutsch
(und für den Sprachgebrauch im süddeutschen Raum).
Manchmal
existieren Wörter in zwei verschiedenen Versionen (mit e und ohne e); die
Formen ohne Endungs-E sind typisch für den Sprachgebrauch in Österreich:
·
Ö: der Akt (= Sammlung von Schriftstücken), D: die Akte;
·
Ö: der Zigarettenspitz (Mundstück) D:
die Zigarettenspitze
(in einigen Fällen unterscheidet sich der Gebrauch bei „der Spitz/die
Spitze“ allerdings nicht: Ö+D:
o
an der Spitze des Feldes
o
Ö+D: die Spitze des Messers/des Eisbergs)
·
Ö meist das
Eck, D meist: die Ecke
(Ö: das Eck vom Käse, D: die Ecke vom Käse),
(in einigen Fällen unterscheidet sich der Gebrauch bei „das Eck/die Ecke“
allerdings nicht:
o
Ö+D: den Ball ins lange Eck schießen
o
Ö+D: das Dreieck, das Viereck, das Deutsche Eck).
Hauptwörter mit Verkleinerungsendungen auf -l, -erl
usw. tragen in der Mehrzahl immer ein -n, ganz egal um welchen Fall es sich
handelt!
·
1. Fall: „Die Powidltascherln haben gut geschmeckt.“
·
2. Fall: „Die Fülle der Powidltascherln war ausgezeichnet.“
·
3. Fall: „Er kann den Powidltascherln nichts abgewinnen.“
·
4. Fall: „Wir haben Powidltascherln gegessen.“
·
Aber Achtung: Es gibt auch Wörter, die auf -l enden und keine
Verkleinerungsformen sind. Tückisch sind vor allem Maskulina wie „Knödel“,
„Stadel“, etc. Sie tragen nur im 3. Fall, Mehrzahl, ein -n:
o 1. Fall: „Die Knödel
haben gut geschmeckt.“
o 2. Fall: „Die Fülle der
Knödel war ausgezeichnet.“
o 3. Fall: „Er kann den
Knödeln nichts abgewinnen.“
o 4. Fall: „Wir haben
Knödel gegessen.“
o Karl Valentin hat zu diesem
Sprachproblem einen Kabaretttext geschrieben. Während Liesl Karlstadt im 1.
Fall Mehrzahl korrekt „die Semmelknödel“ sagt, plädiert er nicht nur für
„die Semmelknödeln“, sondern sogar für „die Semmelnknödeln“.
(http://www.kieninger-diessen.de/KV-Semmelnknoedeln.htm)
Einige
Adverbien tragen in Österreich ein Endungs-s!
So wird
„weiters“ (im Sinn von
„weiterhin“ oder „ferner“) in Österreich mit s am Wortende gebraucht, genauso „durchwegs“ („durchwegs heiter“).
Das österreichische „öfters“
kann nicht in allen Fällen verwendet werden, „durchgehends“ veraltet, die Form ohne s
ist bereits häufiger anzutreffen.
Ein e in der Wortfuge ist in Österreich
seltener anzutreffen!
·
Ö: Tragtasche D:
Tragetasche
·
Ö: Tagblatt D:
Tageblatt
·
Ö: Taggeld D:
Tagegeld
Mit dem Reflexivpronomen „sich“ nicht geizen!
·
Ö: Es lohnt sich nicht D
auch: Es lohnt nicht
·
Ö: Sie soll sich nicht
zu viel erwarten D
auch: Sie soll nicht zu viel erwarten
·
Ö: Er soll sich
niederknien D
auch: Er soll niederknien
Zwischen „da“
und „dort“, „dahin“ und „dorthin“ genau unterscheiden!
·
Ö: ein Ereignis am Ort des Sprechers wird mit „da“ umschrieben, ein
Ereignis an einem vom Sprecher entfernten Ort mit „dort“
·
D: es kann in beiden Fällen „da“ verwendet werden.
·
Ö: „Beim nächsten Toscana-Urlaub fahre
ich nicht mehr nach Siena, denn ich war schon letztes Jahr dort.“
·
D: „... denn ich war schon letztes Jahr da.“
Das Gesagte gilt auch für „dahin“ und „dorthin“.
Zwischen „her“ und „hin“ genau unterscheiden!
Im Allgemeinen
wird mit „her“ die Richtung auf den Standpunkt des Sprechers zu
ausgedrückt. Mit „hin“ wird die Richtung vom Standpunkt des Sprechers weg
ausgedrückt. (Das gilt nicht für den übertragenen Gebrauch von Zeitwörtern.
In diesen Fällen steht durchgehend „her“: „Sie sind über ihn hergezogen.“)
Bei den
zusammengesetzten Adverbien „herauf/hinauf“, „heraus/hinaus“,
„herunter/hinunter“, „herüber/hinüber“, „herein/hinein“ wird in Deutschland
an dieser Unterscheidung selbst in der Standardsprache nicht mehr
konsequent festgehalten, in Österreich hingegen sehr wohl.
·
Ö: den Bissen hinunterschlucken D
auch: den Bissen herunterschlucken
·
Ö: das Werkzeug dem Mann auf die Leiter hinaufreichen D: das
Werkzeug dem Mann auf die Leiter heraufreichen.
Der unterschiedliche Gebrauch hängt damit zusammen, dass in der
norddeutschen Umgangssprache die verkürzten Formen „rauf“ (=
herauf), „raus“ (= heraus), „runter“ (= herunter), „rüber“ (= herüber) und
„rein“ (= herein) ohne Rücksicht auf die Richtung gebraucht werden.
·
D: „Komm, wir gehen gleich in den Saal rein!“ Ö: „Komm,
wir gehen gleich in den Saal hinein!“
·
D: „Schau, er klettert den Baum rauf!“ Ö:
„Schau, er klettert den Baum hinauf.“
Auch in der österreichischen Umgangssprache wird die Richtung
strikt beachtet:
·
„Schau, er klettert den Baum ‘nauf (= hinauf)!“
·
„Komm, wir gehen auf die andere Straßenseite ‘nüber (= hinüber)!“
Zahlen sind in Österreich im Allgemeinen männlich, nicht weiblich!
·
Ö: Er hat in Mathematik einen
Fünfer
·
D: ... eine Fünf
·
Ö: Sie ist mit dem Fünfer (Straßenbahnlinie
5) nachhause gefahren
·
D: Sie ist mit der Fünf
nach Hause gefahren.
In der
Schriftsprache heißt es hingegen auch in Österreich: „Ein Zug der Straßenbahnlinie
5 ist entgleist“.
Es muss in der indirekten Rede bei dass-Sätzen nicht immer der
Konjunktiv stehen!
In der geschriebenen Form und in der Hochsprache wird in Österreich
der Konjunktiv viel seltener verwendet als in Deutschland.
·
D meist: Der Bundeskanzler sagte, dass das Gesetz in der
besprochenen Form in die Begutachtung gegangen sei.
·
Ö meist: Der Bundeskanzler sagte, dass das Gesetz in der
besprochenen Form in die Begutachtung gegangen ist.
Da der Konjunktiv in Österreich selten verwendet wird, dient er vor
allem dazu, einen Zweifel an der Aussage auszudrücken.
„Er sagte, dass sich die Grippeepidemie rasch ausbreite“ wird in
Deutschland als neutrale Wiedergabe einer Aussage empfunden.
In Österreich hat derselbe Satz einen anderen Klang; es entsteht der
Eindruck, dass der Erzähler den Wahrheitsgehalt nicht überprüfen konnte
oder ihn sogar in Frage stellt: „Er sagte, dass sich die Grippeepidemie
rasch ausbreite (andere Experten halten das für Panikmache).“
Zeitwörter, die Körperhaltungen ausdrücken, wie beispielsweise
„stehen“, „sitzen“, „liegen“ verlangen in Österreich (und Süddeutschland)
„sein“ und nicht „haben“!
·
Ö: ich bin gestanden, bin gesessen, bin gelegen etc.
§
D: ich habe gestanden, habe gesessen, habe gelegen etc.
Gleiches gilt für alle Zusammensetzungen dieser Wörter wie
„dabeistehen, gegenüberstehen, stillstehen“ etc. sowie für den übertragenen
Gebrauch.
·
Ö: „Er ist unter Stress gestanden.“
§ D: „Er hat unter Stress gestanden.“
In Zweifelsfällen wird „sein“ verwendet.
Intransitive
Verben, die einen Zustand oder ein Geschehen in seiner Dauer
ausdrücken, bilden das Perfekt mit „haben“:
·
„Die Rosen haben lange
geblüht.“
Intransitive Verben, die eine Zustands- oder Ortsveränderung beschreiben,
bilden das Perfekt hingegen mit „sein“:
·
„Die Rosen sind
verblüht.“
Eigentlich müsste es heißen: „Im Urlaub haben wir viel
geschwommen.“ und „Einmal sind wir bis zur Insel geschwommen.“
Selbst in Norddeutschland sagt man aber immer öfter: „Im Urlaub sind
wir viel geschwommen.“
Im Zusammenhang mit Hitze, Kälte, Gestank verwendet man in
Österreich „haben“ und nicht „sein“.
·
Ö: „Es hatte 30 Grad im
Schatten!“ – „Es hatte einen
furchtbaren Gestank in diesem Zimmer!“
§
D: „Es waren 30 Grad im
Schatten.“ – „Es war ein
furchtbarer Gestank in diesem Zimmer!“.
Italienische Entlehnungen sind häufiger, die italienische Herkunft
einzelner Wörter ist oft an der Schreibung erkennbar!
·
Ö: Aviso D:
das/der Avis
·
Ö: detto D:
ditto
·
Ö: Kassa D:
Kasse (aber „Wiener Gebietskrankenkasse“ etc.)
·
Ö: die Pasta D:
die Paste
·
Ö: Mocca D:
Mokka
Keine übertriebenen Eindeutschungen!
In
Deutschland ist in einigen Fällen eine stärker eingedeutschte Schreibung
(und Aussprache) üblich, während man sich in Österreich stärker ans
Original hält.
·
Ö: das Praliné (Betonung auf der 3.
Silbe) D: die Praline
(Betonung auf der 2. Silbe)
·
Ö: das Buffet (stummes t) D:
das Büfett (t wird ausgesprochen)
·
Ö: die Sauce (französische Schreibung) D: die Soße (eingedeutschte Schreibung
(Außerhalb der Küchensprache wird auch in Österreich „Soße“ verwendet.
Auch die
letzte Rechtschreibreform enthält übertriebene Eindeutschungen und trägt
damit eine bundesdeutsche Handschrift.
Es
besteht allerdings kein Grund, die extremen Eindeutschungen in Österreich
nachzuvollziehen, selbst der neueste Rechtschreibduden lässt beide
Varianten zu. Man kann also davon ausgehen, dass in Österreich die
nichteingedeutschten Formen dominieren werden, während die starken
Eindeutschungen eher in (Nord-)Deutschland Platz greifen:
·
Ö: Bravour D
auch: Bravur
·
Ö: Bouclé D
Buklee
(Garn mit Knoten und Schlingen, Teppich daraus)
·
Ö: Charme, charmant D
auch: Scharm, scharmant
·
Ö: Csárdás D
Tschardasch
·
Ö: Delphin D
auch: Delfin
·
Ö: Ghetto D
auch: Getto
·
Ö: Joghurt D
auch: Jogurt
·
Ö: Katarrh D
auch: Katarr
·
Ö: khakifarben D
auch: kakifarben
·
Ö: Mayonnaise D
auch: Majonäse
·
Ö: Nougat D
auch: Nugat
·
Ö: Panther D
auch: Panter
·
Ö: Penthouse D
auch: Penthaus
·
Ö: Portemonnaie D
auch: Portmonee
·
Ö: rauh D
auch: rau
·
Ö: Sketch D
auch: Sketsch
·
Ö: Spaghetti D
auch: Spagetti
·
Ö: Thunfisch D
auch: Tunfisch
·
Ö: Vandale D
auch: Wandale
In der
österreichischen Fußballsprache kommen englische Lehnwörter häufiger vor!
·
Ö auch: Goal neben Tor
·
Ö auch: Corner neben Eckball
·
Ö auch: Out neben Aus
·
Ö auch: Penalty neben Elfmeter
·
Ö auch: Goalie, Goalkeeper neben Tormann
etc.
Das Wort „Torwart“ wird in Österreich kaum verwendet, „Torhüter“ ist
hingegen sehr beliebt (z. B. „Teamtorhüter“).
Keine falschen Mehrzahl-s, die im Norden Deutschlands ihren
Ursprung haben!
Nicht:
·
die Fräuleins, die Mädels, die Bengels,
sondern
richtig:
·
die Fräulein, die Mädel, die Bengel etc.
Kein Mehrzahl-s als Kollektivbezeichnung für Mitglieder einer
Familie:
·
D: die Schulzens, die Hämmerles Ö:
die Familie Schulz, das Ehepaar Hämmerle
Das Präteritum (früher Imperfekt
genannt) ist in Österreich und im ganzen Süden Deutschlands als mündliche
Erzählform ausgestorben, statt dessen wird im
Perfekt erzählt!
·
Ö: „Ich bin in die Stadt
gefahren und habe mir einen Mantel gekauft.“
·
D: „Ich fuhr in die
Stadt und kaufte mir einen
Mantel.“
Daneben kann man sich in vielen Fällen aber auch in der Schriftform
entscheiden, ob man das Perfekt an Stelle des Präteritums verwendet, wobei
die beiden Zeiten unterschiedliche Funktionen haben: Das Präteritum signalisiert
Distanz und Nüchternheit, das Perfekt bringt zum Ausdruck, dass der
Schreibende an der Sache Anteil nimmt, dass ihm die Sache wichtig ist.
Außerdem kommt noch hinzu, dass das Perfekt in Österreich als die vertraute
Erzählzeit empfunden wird, das Präteritum klingt gekünstelt (nach Art eines
Polizeiberichts).
Eine Ausnahme sind die Präteritumformen
der Hilfszeitwörter „sein“, „werden“, „können“ etc.
Die Formen „war“, „wurde“, „konnte“ etc. werden auch dann
verwendet, wenn im Perfekt erzählt wird. Es muss also nicht heißen: „es ist
kalt gewesen“, die Formulierung „es war kalt“ ist völlig ausreichend.
Hilfszeitwörter dienen auch dazu, Präteritumformen
mit unserem Sprachgefühl in Einklang zu bringen:
Aus einem gekünstelt wirkenden „ich fasste es nicht“ wird ein als normal
empfundenes „ich konnte es nicht fassen“.
Zeitungsmeldungen beginnen oft mit dem Perfekt und wechseln dann
ins Präteritum!
Der Beginn im Perfekt signalisiert Aktualität und Anteilnahme:
„Knallefekt bei der VA Tech: Der bisherige Großaktionär
Mirko Kovats hat Sonntagabend seine
Anteile an dem börsenotierten Linzer
Technologiekonzern an Siemens verkauft. Die Verträge wurden
am späten Nachmittag unterzeichnet, wie der Industrielle am Abend bestätigte.
Kovats begründete diesen Schritt mit
dem weiterhin gegebenen Staatseinfluss in der VA Tech.“
Kein „falsches Präteritum“ verwenden!
In Österreich neigt man dazu, das Präteritum auch dann zu verwenden,
wenn ein Perfekt zwingend vorgeschrieben ist („falsches Präteritum“). In
folgenden Fällen muss das Perfekt stehen, und nicht das Präteritum:
1. Das Ergebnis eines
Ereignisses der Vergangenheit liegt auch noch in der Gegenwart vor:
o „Es hat geschneit!“ – „Im
Lotto sind folgende Zahlen gezogen worden: ...“
o Falsches Präteritum: „Es
schneite. „Im Lotto wurden folgende Zahlen gezogen: ....“
2. Frage nach dem
Schuldigen:
o „Hat er es getan, oder
hat er es nicht getan? “
o Falsches Präteritum: „Tat
er es oder tat er es nicht?“
3. Sätze mit Zeitangaben:
o „Kurz nach Mitternacht
haben sich Bund, Länder und Gemeinden nach langen zähen Verhandlungen auf
einen neuen Finanzausgleich geeinigt.
o Falsches Präteritum:
„Kurz nach Mitternacht einigten sich Bund, Länder und Gemeinden nach langen
zähen Verhandlungen auf einen neuen Finanzausgleich.“
o „Ursprünglich hat man als
„Kuberer“ jenen Polizisten bezeichnet, der die Prostituierten kontrolliert.
Später ist der Ausdruck „Kiberer“ auf Kriminalpolizisten gemünzt worden.
o Falsches Präteritum:
„Ursprünglich bezeichnete man als „Kuberer“ jenen Polizisten, der die Prostituierten
kontrolliert. Später wurde der Ausdruck „Kiberer“ auf Kriminalpolizisten
gemünzt.“
Ereignisse der Vergangenheit können auch im Präsens geschildert
werden.
„Um 15.30 Uhr
setzt sich der Trauerzug in Bewegung. Tausende Menschen stürmen Richtung
Sarg, schwenken Transparente, die palästinensischen Sicherheitskräfte geben
Warnschüsse ab.“
„Die Wiener Arbeiterkammer
schlägt Alarm: Immer weniger Lehrstellen, immer mehr Jugendliche, die
vergeblich einen Ausbildungsplatz suchen ... Was der Arbeiterkammer
missfällt: Von Jahr zu Jahr sind weniger Betriebe bereit, Lehrlinge
auszubilden.“
Das Präteritum wird in Überschriften meist vermieden.
„Griechen rechneten
sich Budget schön“ klingt gekünstelt. Oft gibt es Alternativen im
Präsens: „Athener Budgetmanipulation verärgert Brüssel“.
Beliebt sind
auch verkürzte Partizipialkonstruktionen: „Hilfe vom ÖAMTC: Wiener nach
Raubüberfall heimgeflogen“.
Kommentare und Glossen stehen vorwiegend im Präsens oder im
Perfekt, nicht im Präteritum!
Damit wird
unterstrichen, dass es sich um eine persönliche Meinung handelt. Es wird
zum Ausdruck gebracht, dass das Thema dem betreffenden Journalisten wichtig
ist, dass die Aussage von Gültigkeit und von Dauer ist. Außerdem verbessert
sich die Lesbarkeit des Textes.
Vorsicht bei Präpositionen! In einigen Fällen werden in Österreich andere
Präpositionen verwendet als in Deutschland.
·
Ö: „Ich kaufe ein Handy um 0 Euro!“ D:
„Ich kaufe ein Handy für 0 Euro.“
·
Ö: „Ich abonniere die Zeitschrift „um 30 Euro.“ D: „Ich abonniere die Zeitschrift für
30 Euro.“
·
Ö: „Er geht schon in die Schule.“ D:
„Er geht schon zur Schule.“
Das Wort „vergessen“ kann in Österreich zusammen mit „auf“
verwendet werden, in Deutschland steht immer der Akkusativ.
·
Ö: Er war so in die Arbeit vertieft, dass er aufs Essen vergessen hat.
§
D: Er war so in die Arbeit vertieft, dass er das Essen vergessen hat.
·
Ö: Haben denn alle auf mich
vergessen.
§
D: Haben mich denn alle
vergessen.
Im österreichischen Deutsch sind subtile Unterscheidungen möglich:
·
„Ich habe meinen Schirm vergessen!“ (= Ich habe ihn stehen lassen!)
·
„Ich habe auf meinen Schirm vergessen!“ (= Ich habe nicht daran
gedacht, ihn mitzunehmen!)
Unterschiede in der Grammatik/in der Formenlehre:
·
Ö: jemand anderer D:
jemand anders
·
Ö: er hat die Arbeit hingehaut D: er
hat die Arbeit hingehauen
·
Ö: Ich habe es kommen gesehen/
Wir haben ihn singen gehört
D:
Ich habe es kommen sehen/
Wir
haben ihn singen hören
·
Ö: jemanden kündigen D:
jemandem kündigen
·
Ö: zu zweit, zu dritt etc. D
auch: zu zweien, zu dreien
·
Ö: der siebente D:
der siebte
Keine Angst vor dem Fugens!
·
Ö: Schweinsbraten, Rindsbraten D: Schweinebraten, Rinderbraten
·
Ö: Zugsunglück, Zugsabteil, Bahnhofsbuffet D: Zugunglück, Zugabteil, Bahnhofbüfett
·
Ö: Aufnahmsprüfung
D:
Aufnahmeprüfung
(aber Ausnahmezustand hat sich auch
in Ö durchgesetzt)
·
Ö: Fabriksarbeiter(in),
Fabrikshalle,
fabriksneu,
etc. D: Fabrikarbeiter(in),
Fabrikhalle, fabrikneu
·
Ö: Spitalsabteilung,
Spitalsarzt D:
Spitalabteilung, Spitalarzt
·
Ö: Gelenksentzündung,
Gelenkschirurgie D: Gelenkentzündung,
Gelenkchirurgie
·
Ö: Bestandsaufnahme,
Bestandsgarantie D: Bestandaufnahme,
Bestandgarantie
·
Ö: Überfallskommando D:
Überfallkommando
Schwankend ist die
Schreibweise bei Wörtern wie „Einkommen(s)steuer“, „Vermögen(s)steuer“,
„Versicherung(s)steuer“ etc. Hier ist die Situation in Österreich ähnlich
wie in Deutschland: Der Gesetzgeber verwendet eher die Formen ohne Fugen-s,
in den Medien und in der Alltagskommunikation sind auch die Formen mit
Fugen-s anzutreffen.
Aber Achtung,
es gibt Ausnahmen!
·
Ö: Adventkalender D:
Adventskalender
·
Ö: Tabakbeutel, Tabakdose D:
Tabaksbeutel, Tabaksdose
Auch
Namenstage von Heiligen nicht mit Fugen-s, sondern mit lateinischem
Genitiv-i:
·
Ö: Stefanitag D:
Stephanstag
·
Ö: Florianiprinzip D:
Floriansprinzip
·
Ö: Martinigansl D:
Martinsgans
Monatsnamen:
Der erste Monat
des Jahres heißt in Österreich „Jänner“,
in Deutschland „Januar“.
Der zweite
Monat wird auch in Österreich mehrheitlich als „Februar“ bezeichnet, „Feber“
hat sich nicht durchgesetzt.
Wo der
Rechtschreibduden und das Österreichische Wörterbuch nicht einer Meinung
sind:
1. Österreichisches
Wörterbuch: „Es ist mir Wurst.“
§ Duden: „Es ist mir wurst.“
o Da auch „egal“ klein geschrieben wird, empfiehlt es sich, in diesem
Fall dem Duden zu folgen:
§ „Es ist mir wurst.“
§ „Es ist mir powidl.“
§ „Es ist leinwand.“
2. Der Duden führt „sodass“
als Hauptform und „so dass“ als Nebenform an, das Österreichische Wörterbuch
hält es umgekehrt.
o Es empfiehlt sich, die
vom Österreichischen Wörterbuch vorgeschlagene Getrenntschreibung „so dass“
anzuwenden, weil sie fehlervermeidend ist.
3. Der Duden vertritt die
Meinung, dass bei der Schreibung von „einmal“ oder „ein Mal“ die Betonung
entscheidet:
§ Erstbetonung: „einmal“,
Endbetonung: „ein Mal“.
o Das Österreichische
Wörterbuch kennt diese Regel nicht. Es erscheint sinnvoll, so wie das Österreichische
Wörterbuch die Schreibweise freizugeben.
Es gibt mehr
Zeiten, als der Duden wahr haben will, z. B. das Doppelte
Perfekt.
In Österreich
ist in der Umgangssprache das Doppelte Perfekt sehr beliebt:
·
„Ich habe es vergessen gehabt.“
·
„Ich bin eingeschlafen gewesen.“
Daneben gibt
es auch ein Doppeltes Plusquamperfekt:
·
„Ich hatte es vergessen gehabt.“
·
„Ich war eingeschlafen gewesen.“
Oft werden
diese Zeiten im Konjunktiv gebraucht:
·
„Gut, dass du mich gestern erinnert hast – ich hätte es vergessen
gehabt.“
Der Duden
beschreibt das Tempussystem der deutschen Sprache
mit sechs Begriffen:
1.
Präsens
2.
Präteritum (früher Imperfekt oder Mitvergangenheit)
3.
Perfekt
4.
Plusquamperfekt
5.
Futur I
6.
Futur II (früher Futur exakt)
Dieses System
ist vom Lateinischen abgekupfert. Allerdings kann mit dem lateinischen
Zeitensystem unser heutiger Sprachgebrauch nur lückenhaft beschrieben
werden. Schaut man genau hin, so bemerkt man, dass es im Deutschen mehr als
sechs Tempora gibt, die sich in folgende Kategorien gliedern lassen.
Präsenszeiten: Dazu gehören das
·
Präsens (ich vergesse es)
·
Perfekt (ich habe es vergessen)
·
Doppelte Perfekt (ich habe es vergessen gehabt)
Präteritumzeiten: Dazu gehören das
·
Präteritum (ich vergaß es)
·
Plusquamperfekt (ich hatte es vergessen)
·
Doppelte Plusquamperfekt (ich hatte es vergessen gehabt)
Die Futurzeiten:
Dazu gehören das
·
Futur I (ich werde es vergessen)
·
Futur II (ich werde es vergessen haben)
·
Futur III (ich werde es vergessen gehabt haben)
Hinzuzählen
könnte man noch Konditionalis I (ich würde es vergessen), Konditionalis II
(ich würde es vergessen haben) und Konditionalis III (ich würde es
vergessen gehabt haben).
Die beiden Tempusformen Präteritum (ich vergaß es) und Perfekt
(ich habe es vergessen) haben eine Gemeinsamkeit: Sie werden dazu benützt,
um Handlungen oder Ereignisse zu schildern, die in der Vergangenheit
passiert sind. Daneben gibt es aber auch einige ganz gravierenden
Unterschiede im Gebrauch.
Das Präteritum
dient als Erzählzeit in Romanen, in Märchenbüchern, in Zeitungsberichten,
es signalisiert eine Distanz des Erzählers zum Erzählten. Oft wird es für
eine Abfolge von Ereignissen verwendet, die schon weiter zurückliegen.
Das Perfekt wird dann verwendet, wenn das Ergebnis der vergangenen
Handlung auch noch in der Gegenwart von Bedeutung ist:
·
„Schau, es hat geschneit!“
·
„Hat er es getan oder hat er es nicht getan?“
·
„Grillparzer hat bedeutende Dramen geschrieben!“ etc.
Es signalisiert
die persönliche Involvierung des Erzählers mit
dem Erzählten. Somit dient das Perfekt als Erzählzeit in persönlich
gehaltenen Briefen, in Leitartikeln und Glossen der Tageszeitungen, aber
auch in Romanen, die im Ductus der Alltagskommunikation geschrieben sind
(vgl. die überaus erfolgreichen Krimis von Wolf Haas). Oft wird das Prefekt
auch dann verwendet, wenn etwas gerade passiert ist. Der erste Satz eines
Berichts in einer Zeitung steht meist im Perfekt, dann wird ins Präteritum
gewechselt.
Zur Zeit werden auch im Norden
des deutschen Sprachraums die Präsenszeiten immer häufiger verwendet, der
Gebrauch der Präteritumzeiten geht zurück. Dies hängt wahrscheinlich auch
damit zusammen, dass die Präteritumzeiten so gekünstelt, so kalt wirken.
Wer über ein Ereignis der Vergangenheit berichtet, der will doch wohl den
Eindruck erwecken, dass dieses Ereignis auch weiterhin von Bedeutung ist!
Wer will, dass man ihm zuhört, der wird im Perfekt und nicht im Präteritum
erzählen! Außerdem kann das Präteritum meist mühelos durch das Perfekt
ersetzt werden (umgekehrt jedoch nicht):
·
„Er kränkt sich, weil sie
ihn nicht eingeladen haben.“
Hier kann das
Perfekt („eingeladen haben“) nicht durch das Präteritum („einluden“)
ersetzt werden.
Es wäre falsch
zu sagen: „Er kränkt sich, weil sie ihn nicht einluden.“ Auch der Satz „Tat
er es oder tat er es nicht?“ ist falsch. Richtig muss es heißen: „Hat er es
getan oder hat er es nicht getan?“ Denn aus dem Zusammenhang wird deutlich,
dass die Handlung der Vergangenheit in der Gegenwart von Bedeutung ist.
Bastian Sick
bezeichnet das Doppelte Perfekt in einer Zwiebelfisch-Kolumne als
„Ultra-Perfekt“ (in dem Buch „Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod“ ist die
Kolumne auf den Seiten 179 bis 182 abgedruckt). Schon der Name
„Ultra-Perfekt“ zeugt vom Unverständnis für diese Zeitform. Bastian Sick
ist außerdem der irrtümlichen Auffassung, dass sich diese Zeit „zwischen
Perfekt und Plusquamperfekt eingenistet hat“, er glaubt, dass es sich um
eine Art Verstärkung des Perfekts handelt: „Erst das Ultra-Perfekt macht
das Perfekt wirklich perfekt.“
Die von ihm
präsentierte Entstehungsgeschichte ist skurill.
Sebastian Sick meint, das Doppelte Perfekt wäre von Hausfrauen
erfunden worden. Er prägt daher den Begriff „Hausfrauenperfekt“ und nennt
Beispiele wie „Unterhosen hab ich schon im Katalog bestellt gehabt“ – „Dass
ich weniger Süßes essen soll, haben die mir im Krankenhaus ja nicht gesagt
gehabt“. Die Kinder dieser Hausfrauen hätten die Zeitform übernommen und
über das Internet verbreitet. Dadurch hätte das Doppelte Perfekt „die
Schwelle vom gesprochenen Deutsch zum geschriebenen Deutsch“ überschritten.
In der Tat ist
das Doppelte Perfekt deshalb entstanden, weil im Süden des deutschen
Sprachraums in der Alltagskommunikation immer im Perfekt erzählt wird. Um Vorzeitigkeit
auszudrücken, ist eine neue Zeit entstanden, das Doppelte Perfekt: „Gestern
bin ich in den Supermarkt gegangen, um eine Seife für meine Mutter zu
kaufen. Als ich im Geschäft war, habe ich vergessen gehabt, was ich
eigentlich besorgen wollte. Erst bei der Kassa ist es mir wieder
eingefallen.“
Das Doppelte
Perfekt ist selbstverständlich keine Erfindung unserer Zeit. Genauso wenig
wie das Doppelte Plusquamperfekt. Diese Tempora finden sich in zahlreichen
Grammatiken, beginnend mit dem 17. Jahrhundert. Zitate kann man auch bei
berühmten Schriftstellern aufspüren, die nicht aus dem österreichischen
oder süddeutschen Sprachraum stammen: von Goethe bis Grass. Aber die muss
man ja nicht gelesen haben.
Gesamter Text aus:
Robert Sedlaczek
Das österreichische
Deutsch!
Was wir von unserem großen Nachbarn
unterscheiden
|