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„Aggradd“
im Bayerischen Wörterbuch
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Aggradd, aggradd ...
Die bairische Sprache zeichnet sich dadurch aus, daß
Fremd- und Lehnwörter nicht nur integriert, sondern auch noch mit
zusätzlichen Bedeutungen angereichert werden. |
Zuerst
eine Anmerkung zur Schreibweise: Im Bayerischen Wörterbuch steht das Wort unter
„akkurat“.
In den Zitaten werden dann verschiedene Varianten verwendet, die den jeweiligen
Dialekt wiedergeben.
Die Schreibweise insgesamt - mit Ausnahme gelegentlicher schwedischer Ringerl
auf dem dunklen „a“ - ist hier originalgetreu aus dem Bayerischen Wörterbuch
übernommen worden.
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1a:
„sorgfältig“, „ordentlich“
paßt eh überaön aös ganz ackrat
aus dem Innviertel
akkrat arbatn tuat a, aba wissn tuat a aa, wos a z volanga hat
Hengersberg, Lkr. Deggendorf
dös is a akrater Mann gwest
Lkr. Neustadt a.d. Waldnaab
(der Richter) sollt' an Platz ... Akràt in Augnschein nehma
Gumppenberg: Loder 33
Ja, geht dei Uhr denn so akkrat?
Altbayerische Heimatpost 7/1955
Im übertragenen Sinn:
nicht ganz akurat sein
"nicht ganz bei Sinnen sein"
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1b:
„übergenau“, „pedantisch“
da Burgamoaschta is wieda akkurata wia a dutzad Beamte
Grafrath, Lkr. Fürstenfeldbruck
vo lauter akkrat kummts zu nix
Viechtach
akrat aufs Dipferl sei
Eschenbach
Da Bauinspekta ... is a goa akrata Moo
Schuegraf: Wäldler 63
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Weitere Bedeutungen:
„wählerisch“, „anspruchsvoll“ (Bairisch: gschleckart,
hoagli)
Und:
aggrad: „heikel“ (Walkertshofen, Lkr. Dachau)
an agratö Kundschaft (Aicha, Lkr. Passau)
Der is hibsch akrat: „geizig“ (Hartpenning, Lkr. Miesbach)
des is an akrata, an extriga Heiliga
Peißenberg, Lkr. Weilheim
an akratn Khobf ham: "eigensinnig sein"
Aicha, Lkr.Passau
an akratar Mensch
nach Dietl: Erg. Schmeller I.15
agrat daselm bine krank gwen, wias do gwenn seits
Traunstein
akkrad du dast ma g'fäu'n
Pfeffenhausen, Lkr. Rosenheim
dann thuast accrat
Die Frucht d'rein, die's den Monat hat
Henle: Guat is's 10
Da hupft er, da gupft er agrad auf mei Hand
Orff: Welttheater 90 (Astutuli)
auch bei der Uhrzeit:
iazz is-s àgràdd zweife
Simbach, Lkr. Pfaffenhofen
agrad a so is gwen
Ainring
der hat akrat dös Mei g'sagt
Haidlfing
Nacha schaut's akrat aus
Wiar a Röserl im Schnee
Eberl: Neui Kräutln 97
Obas akkrat so fürabrocht hod, kunnt i ned beschwiern
Münchner Turmschreiber 61
jez hadan agradd ned einilassn
Ebersberg
die moant jetzt akrat, sie kann oan derblecka
Christ: Werke 725 (Madam Bäurin)
Das Bayerische Wörterbuch nennt die
Substantive „Akkurate“, „Akkuratesse“ und „Akkuratigkeit“
Noch
ein paar Anmerkungen:
Wenn etwas ganz besonders aggradd ist, heißt es „haaraggradd“.
Das Bayerische Wörterbuch nennt als Beispiel aus Straubing: „haarakrat
a so wiards gmacht“.
Das Wort „haaraggradd“ ist zur Hälfte eine Entlehnung aus dem
Deutschen.
Es wurde offensichtlich von "haargenau" abgeleitet.
Das allerdings ist erstaunlich, denn der Wortteil "genau" ist im
Bairischen eigentlich nicht daheim.
Es wird zwar verwendet, um Exaktheit auszudrücken - aber allein schon die
Tatsache, daß man nicht "g'nau" o. ä. sagt, verrät, daß es sich bei
"genau" eigentlich um ein Fremdwort handelt.
Viel gebräuchlicher ist „grod“ mit verstärkenden Zusätzen: „bfaigrod“, „kiazagrod“, „stangalgrod“.
Uhrzeiten und Geldsummen können auch durch „auf b Minuddn“, „am Groschn“ und „am Bfeening“ präzisiert werden (aba
„am Euro“ –wartmas ab!).
Absolute Exaktheit drückt im aktuellen Bairisch darüber hinaus das Adverb „hunadbroo“ aus.
Daß „genau“ ein deutsches Fremdwort im Bairischen ist, wird auch dadurch deutlich,
daß es zwar als Bestätigungsformel verwendet, dann aber „undeutsch“ betont
wird, wobei das betonte „e“ auch noch eine Dehnung über Gebühr erfährt.
Beispiel: „Is s a so?“ – „Geenau!“
Wer Bairisch spricht und „Genau!“ sagt, will einen deutschen Ausdruck
imitieren.
Parallelen zum vom preußisch-militärischen „Jawoll“ abgeleiteten bairischen
„Hawoi“ sind unübersehbar.
Die Tatsache, daß das Wort „genau“ in den 70er Jahren einmal von der „Gesellschaft
für deutsche Sprache“ zum „Wort des Jahres“ ernannt wurde, verdeutlicht, daß
diese verdienstvolle Organisation sich für nicht zuständig für den bairischen
Sprachraum betrachtet.
Logisch: Eine Sprache mit dem aus dem Lateinischen übernommenen
„aggradd“ und dem eigenen „grod“ und dessen Varianten kommt spielend ohne das
deutsche „genau“ aus.
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